Die Schreiberlinge stehen auf der falschen Seite

Die Presse beruft sich gern auf ihren Status als »vierte Macht«.
Leider wird sie viel zu selten ihrem eigenen Anspruch gerecht.

Allen voran dürften einigermaßen unbestritten die Veröffentlichung der Geheimdienstdokumente, die der Whistleblower Edward Snowden verfügbar gemacht hat, die Aufdeckung des Watergate-Skandals und die Guerilla-Veröffentlichungen, wie sie Wiki-Leaks ermöglicht hat, als einige der größten positiven Momente des freien Journalismus gelten.

Meiner Meinung nach ist der Bereich des sogenannten »investigativen Journalismus« der wichtigste, also die Recherche, Aufdeckung und Berichterstattung über wirtschaftliche und politische »Heimlichkeiten« der Mächtigen, also über die (meistens sehr gut versteckten) wahren Absichten von »Personen und Organisationen des wirtschaftlichen und politischen Lebens« – dieser »investigativen Journalismus« ist auch der eigentliche und ursprüngliche Kern, das ihm eigentlich zugrunde liegende Wesen des Journalismus.

Zumindest sollte das so sein.

Unverzichtbar für einen guten Journalismus ist dessen Unabhängigkeit. Wirtschaftlich ist diese Unabhängigkeit weitestgehend und global zumindest höchst zweifelhaft und in den meisten Fällen nicht mehr gegeben – der Journalismus ist ebenso korrupt geworden, wie die Politik. Aber es hat diesen korrupten Journalismus schon immer gegeben, wie es auch schon immer korrupte Politiker gegeben hat – man denke nur an den schon sehr alten Begriff der »Hofberichterstattung«.

Aber um diesen Fragenkomplex geht es mir heute gar nicht.

Ebenfalls unverzichtbar für einen unabhängigen Journalismus ist das aktive eigenständige Denken und das kritische Hinterfragen.

Was sollte immer die erste und zentrale Frage sein, wenn man etwas hinterfragen will – ganz besonders und erst recht als Journalist – aber eigentlich für Jedermann, der versucht, die Welt um sich herum verstehen zu wollen?

»Wem nützt es?«

Leider ist mir wieder einmal ein Artikel untergekommen, der nicht sachlich prüft und tatsächlich aufklärt, sondern sich populistisch, oberflächlich und vor allem arrogant und herablassend über eine Person hermacht, anstatt sich ernsthaft der Sache zu widmen, die diese Person vertritt.

Ihr ahnt es: Es geht wieder einmal um Greta Thunberg und deren Mahnungen zum Handeln, angesichts des bereits laufenden Klimawandels.

Unter dem Titel »Das Klima wandelt sich, und wir wandeln uns mit ihm: Ein anderer Blick auf Greta Thunbergs Aufruf zur Panik« hat NZZ.ch am 3.9.2019 eine deutsche Übersetzung eines Artikels von Niall Ferguson veröffentlicht, der im Original in der »Sunday Times« erschienen war.
Diesem Artikel widme ich mich, um zu zeigen, dass man heutzutage wirklich alles mit offenen Augen wahrnehmen und mit wachem Verstand hinterfragen muss.

Die Ankunft Greta Thunbergs in New York am Mittwoch war eines von vielen Ereignissen der jüngsten Zeit, die illustrieren, wie schnell die moderne Umweltbewegung zu einem Endzeitkult verkommt.

Der Kult wird ja überhaupt erst von Leuten herbeigeschrieben, wie Niall Ferguson.

Denn erst recht, wer sich herabwürdigend über die jeweilige Kultfigur auslässt – hier Greta – um das Anliegen der jeweiligen Person totzuschreiben, schürt den Kult.
Die Anhänger überhöhen natürlich diese Person, weil es ihnen eigentlich um die Sache ging, aber der Fackelträger nun vehement verteidigt werden muss.

…nachdem sie massenhaftes Schuleschwänzen als Protest gegen den Klimawandel (Fridays for Future) einführte.

Hier verweise ich einfach mal auf meinen Artikel »Replik auf Gegen den Klimawandel helfen keine Schülerdemos« in dem ich schrieb:

Es ist also wie immer:

Die jungen Leute, die sich für ihre eigene Zukunft stark machen und deren Sympathisanten und Unterstützer werden infam und vorsätzlich als Dummköpfe und Naivlinge verunglimpft oder – noch perfider – ihnen wird die Schuld in die Schuhe geschoben, weil sie angeblich durch ihre Forderungen für Unsicherheit sorgen und Entscheidungsprozesse verzögern würden.

Da ist doch wieder einmal genau die richtige Stelle für meinen Lieblings-Tucholsky:

»Im übrigen gilt ja hier derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht…«

Aber sehen wir weiter, was noch so kommt:

Anstatt zu fliegen, schipperte sie auf einer «emissionsfreien Jacht» über den Atlantik, um der Erdatmosphäre die Abgase eines Flugzeugs zu ersparen, das sowieso über den Atlantik geflogen wäre, ob mit ihr oder ohne sie.

Schon am »schipperte sie« kann man erkennen, dass es dem Schmierfinken nicht um irgendwelche sachlichen Dinge geht.

Will er witzig sein?

Ist er nicht.

Das ist genau so hirnrissig, wie der vielfach erhobene Vorwurf, die Segeljacht sei ja auch wenig umweltschonend hergestellt worden. Ja, das mag vielleicht sein, jedoch ist sie nicht für Greats Reise gebaut worden, sondern war bereits da – genau wie der Altlantikflug wahrscheinlich nicht eingespart wurde, weil Greta nicht geflogen ist.

Zumindest hat er etwas Wichtiges gar nicht verstanden oder will es gar nicht verstehen: Es geht nicht um irgend eine Ersparnis von Flugzeugabgasen, sondern um den Sinn der Geste, das Setzen eines Zeichens.

Auf den ersten Blick hat Greta etwas an sich, was auf entnervende Weise an John Wyndhams Roman «Kuckuckskinder» erinnert. Die Zöpfe. Der ernste, starre Blick. Doch dann erfährt man, dass sie mit psychischen Problemen zu kämpfen hatte – unter anderem mit hochfunktionalem Autismus und einer Zwangsstörung. Darum fällt es einem schwer, sie zu kritisieren.

Interessante Selbstentblößung der eigenen Ignoranz:
»Doch dann erfährt man«, was die Welt schon seit einem Jahr weiß…

Ebenfalls entblößend:
Der Herr Ferguson kann und will mit Menschen, die anders sind, als er es sich so vorstellt, nicht normal umgehen. Der Ärmste – er weiß gar nicht so recht, was er machen soll, kann er »Behinderte« doch nicht einfach kritisieren… nein, lieber macht er sich lustig oder stellt sie als absonderlich dar.

Es ist die Stimme der Anführerin einer Endzeit- und Erlösungsbewegung.

Nein, es ist die Stimme der Mahnung, nicht tatenlos oder gar vorsätzlich den Untergang zuzulassen.

Doch das Ende der Welt ist nicht nahe.

Wahrscheinlich nicht – aber das Ende der für uns Menschen verträglichen Ökosphäre.

Nun leugne ich keineswegs, dass der Klimawandel stattfindet oder dass die globale Erwärmung in absehbarer Zukunft nachteilige Auswirkungen haben wird. Das tut auch Björn Lomborg nicht, der skeptische dänische Ökonom. Er sagt etwas anderes.

Und wieder der alte Trick: Ich habe keine Meinung (oder ich will sie euch nicht verraten) oder einfach keine Ahnung (was leider die häufigere Variante ist) und deshalb verstecke ich mich hinter anderer Leute Meinung – selbstverständlich sollte diese Meinung zu meinem Weltbild passen… Ein Schelm, der Arges dabei denkt.

Aber sehen wir, was der dänische Herr Ökonom zu sagen hat.

Entscheidend sei, wie er in einem jüngst an der Hoover Institution gehaltenen, glänzenden Vortrag meinte, dass wir Menschen – wie in der Vergangenheit – fähig seien, uns auf eine Weise an den Klimawandel anzupassen, die dessen nachteilige Auswirkungen erheblich abmildern könne.

Hm… hatte ich auch schonmal besprochen:

Worin bestehen die Unterschiede von damals zu heute, die er (absichtlich?) missachtet – oder nicht kennt?

  1. [Die früheren ökologischen Probleme] waren örtliche, bestenfalls regionale.
    Die Probleme, die uns [heute] der Klimawandel beschert und noch bescheren wird, sind globaler Natur und von ungleich höherer Wirkkraft.
  2. Die Durchsetzung [der modernen Technik] war profitgetrieben und beruht keineswegs darauf, [vorhandene Probleme] zu beseitigen – das war bestenfalls ein sehr gerne, aber nur nebenher ausgenutztes Zusatzargument.
    Das eigentliche Ziel war der Profit […].
  3. Die Probleme, die uns [von früher] bis heute [z. B.] der Verbrennungsmotor und die darauf aufbauende Entwicklung eingebrockt hat, sind um ein Vielfaches höher, als es alle Pferdefuhrwerke aus der gesamten Menschheitsgeschichte jemals gekonnt hätten.

Und weiter geht’s:

Da Jachten Crews benötigen, ist es fast sicher, dass als Ergebnis ihres Gags am Ende mehr Leute über den Atlantik fliegen, als wenn sie selbst einen Linienflug genommen hätte.

Siehe oben: Der Flieger wäre auch ohne Gretas Reise geflogen und die Crew ist nicht extra wegen Greta geflogen, sondern war schon vor Ort.
Faktencheck hätte dem Herrn Ferguson gut getan…

Das Pariser Klimaabkommen ist eine vergrösserte Version dieses Spiels. Selbst wenn es eingehalten wird, wird es den Anteil der globalen Energie aus erneuerbaren Quellen kaum erhöhen. Die Auswirkung auf die Durchschnittstemperatur kann vernachlässigt werden: nur ein Prozent dessen, was notwendig wäre, um den Anstieg der globalen Temperatur bis 2100 auf 1,5 Grad zu beschränken.

Hm… und worauf bezieht er sich hier – auf europäische Einsparungswerte?
Dann macht er den gleichen Fehler, wie alle Schreiberlinge, die über Dinge schreiben, von denen sie nichts verstehen, von denen sie glauben, es beträfe nur Andere oder die sie obrigkeitshörig und machtfolgsam verbergen wollen.

Ich zitiere mich noch einmal:

Richtig – gerade, weil 95 % woanders verursacht werden, sollten wir den Verursachern zeigen, wie es besser gemacht werden kann. Denn wie wusste schon Goethe:

»Alles Gute, was geschieht, setzt das nächste in Bewegung.«

Es geht munter weiter mit den professionellen Dummheiten:

Noch dümmer wäre es, auf der Basis apokalyptischer Visionen extreme Vorsorgemassnahmen zu treffen, die am Ende teurer sind als Nichtstun. Fördermittel für erneuerbare Energie kosten etwas. Die Reduktion von CO2-Emissionen kostet etwas. Diese Kosten in Form von Wachstumsverzicht könnten die Kosten der Klimaschäden übersteigen, wenn wir auf eine Weise übertrieben, …

Da passt doch gleich mal ein Zitat sehr gut, das mir erst kürzlich über den Weg lief:

»Ja, wir könnten jetzt was gegen den Klimawandel tun,
aber wenn wir dann in 50 Jahren feststellen würden,
dass sich alle Wissenschaftler doch vertan haben
und es gar keine Klimaerwärmung gibt,
dann hätten wir völlig ohne Grund dafür gesorgt,
dass man selbst in den Städten die Luft wieder atmen kann,
dass die Flüsse nicht mehr giftig sind,
dass Autos weder Krach machen noch stinken und
dass wir nicht mehr abhängig sind von Diktatoren und deren Ölvorkommen.
Da würden wir uns schön ärgern.«
(aus dem Buch »Känguru Apokryphen« von Marc-Uwe Kling)

Und weiter schreibt er – und jetzt wird es ganz gruselig und die meisten Leser werden es nicht einmal gemerkt haben:

Wir wissen, dass ein Klimawandel möglich ist, weil er diesem «Grossen Sterben» auf dem Fuss folgte: Der Zusammenbruch der Bevölkerung reduzierte die Kohlendioxidwerte, weil weite Landstriche wieder zur Wildnis wurden. Die Kleine Eiszeit erhielt dadurch einen weiteren Schub.

Mit anderen Worten: Das mit dem Klimawandel bietet die Chance, dass große Teile der Menschheit sterben und deshalb die Emmissionen sinken und deshalb der Planet wieder abkühlt – wird also alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Was für ein Wortspiel – angesichts dessen, was da hier gerade aufgeploppt ist…

In den letzten Jahren habe ich mehr als einmal gesagt, dass unsere Ära mehr mit dem 16. und dem 17. Jahrhundert gemein hat als mit jeder anderen Periode dazwischen…

Falsch – siehe oben: Dank der Technik und der Globalisierung sind die Auswirkungen heute global und sehr viel tiefgreifender, als zu irgendwelchen vergangenen Zeiten.

Die Herausforderung für Endzeitbewegungen – das haben Alan Bennett, Peter Cook, Jonathan Miller und Dudley Moore in meiner Lieblingsszene des Bühnenstücks «Beyond the Fringe» gezeigt – ist die Frage, was zu tun ist, wenn das Ende der Welt nicht eintritt.

Wer die falsche Frage stellt, darf sich nicht wundern, dass die Antwort falsch ist.

Die richtige Frage ist:
Was ist zu tun, um die Zerstörung der Ökosphäre zu verhindern?

Vom Untergang der Welt spricht Greta nämlich nicht, sondern davon, dass wir die Lebensgrundlagen unserer Kinder zerstören. Vom Weltuntergang schreiben nur die hier wieder einmal von mir kritisierten Schmierfinken.

In einer Hinsicht hat Greta recht. Die Chancen, dass die Regierungen der Welt machen, was sie verlangt, liegen praktisch bei null.

Klar, weil die Jounalisten täglich gegen ihren eigenen Berufsethos verstoßen.

Der Planet wird wärmer werden, wie er im 17. Jahrhundert kälter geworden ist.

Nein.

Der Planet wurde damals kälter, weil beinahe vollständig eine gesamte Population ausgerottet wurde, wogegen sie jedoch völlig machtlos war.

Heute wird der Planet wärmer, weil wir wider besseren Wissens keine Gegenmaßnahmen ergreifen, obwohl wir die Möglichkeiten dazu haben.

Ein gewaltiger Unterschied.

Und wir werden uns anpassen und von den technologischen Neuerungen profitieren, die allmählich verbessern werden, wie wir elektrischen Strom erzeugen und speichern und uns vor Überflutungen schützen.

Sicher werden wir das – aber das erkaufen wir mit den Leben von Abermillionen Menschen.

Wir schreiben das Jahr 2059. Greta Thunberg, nun 56 Jahre alt, wird blamiert (aber erleichtert, hoffe ich) erkannt haben, dass ihre grossen Erwartungen vom Ende der Welt nicht erfüllt wurden. Jair Bolsonaro hat Amazonien nicht abgefackelt. Trump hat den Planeten nicht eingeäschert.

Tatsächlich haben die Genannten das nicht allein getan.

Und Greta wird nicht blamiert sein, denn sie mahnt zum Handeln und prophezeiht nicht irgendwas.

Greta, du solltest nach New York zurückkehren, um unser Überleben zu feiern.
Aber nimm dieses Mal den Flieger.

Tatsächlich ist das armselig und kein bischen witzig.

Wie findest du das?

Schreib unten einen Kommentar, wie du das siehst – herzlichen Dank.

Viele Grüße
Detlef Jahn

Artikel der Themenreihe:
»Die Schreiberlinge stehen auf der falschen Seite«
»Ist Ablaßhandel die Lösung?«
»Spiegelgefecht«
»Kolumnenkompassfehlstellung«

7 Gedanken zu „Die Schreiberlinge stehen auf der falschen Seite“

  1. Ja hallo,
    um meinen kleinen Teil beizutragen zum großen Wandel habe ich angefangen, positive Zukunftsvisionen auf der Website anotherworld.site zu veröffentlichen, um zu zeigen wie die Welt aussieht, die wir uns wünschen. Um die Richtung zu weisen, in die es gehen könnte, um nicht zu sagen sollte. Damit wir nicht nur gegen etwas sind, sondern klar und deutlich beschreiben, für was wir sind.

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