In meinem Artikel »Reisescham ist angebracht« bezog ich mich ja auf einen Artikel zur Fragestellung, wie sich Touristen im Ausland verhalten und was das mit uns macht und mit denen, die wir besuchen – so kulturell gesehen.
Heute geht es eher um die ökologischen Folgen des Reisens selbst, genauer des Reisezielerreichens.
Im Welt.de-Artikel vom 5.9.2019 »Schweden reden nicht nur von Flugscham, sie tun etwas« von Sönke Krüger steht folgendes zu lesen:
»Selbst wer Flugscham verspürt, geht noch lange nicht den eigentlich notwendigen Schritt und leistet aktiv eine CO2-Kompensation. Wie sonst ist zu erklären, dass zwar 71 Prozent der Deutschen teurere Flüge als Klimaschutzmaßnahme sinnvoll fänden (aktuelle Umfrage von Infratest Dimap), andererseits bei der Lufthansa die Summe der Ausgleichszahlungen voriges Jahr regelrecht eingebrochen ist?
Dort wurde 2018 eine freiwillige CO2-Kompensation gerade mal für lächerliche 6.539 Tonnen gezahlt – nach 16.886 Tonnen 2017. Die Ausgleichssumme sackte ab von rund 333.000 auf 127.000 Euro. Nicht gerade üppig bei einem Gesamtausstoß von 32,3 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid.
Die Nordeuropäer machen vor, wie es geht: mit besagtem Automatismus. Wenn Airlines und Veranstalter die Klimakompensation bereits einkalkulieren und ungefragt für alle abführen, ist der wichtigste Schritt getan – und der innere Schweinehund des Passagiers überlistet. Er muss nicht mit sich hadern, ob er zahlt oder nicht – die Frage haben andere längst beantwortet, und zwar erfreulich klimaneutral.«
Hm… naja… kann man so sehen wollen – wenn man sich sein eigenes Verhalten selbst schönreden will.
Ich sehe das aber ein klein wenig anders.
Ich glaube, dass Ablaßhandel nichts anderes ist, als ein großer Betrug – was er ja auch schon immer war und weshalb sich ja auch schon Luther ziemlich verärgert dazu geäußert hat – aus triftigen Gründen.
Naja, zugegeben: Es ist schon schmerzhaft und mühsam, seine Gewohnheiten zu ändern und Liebgewonnenes loszulassen. Das fängt beim Rauchenabgewöhnen an und geht beim Büroaufräumen und Gerümpelausmisten weiter… und reicht hin bis zum Nachdenken, ob das Fliegen zum privaten Vergnügen vernünftig ist.
Deshalb ist der innere Schweinehund der größte Feind der Veränderung – wie auch beim Abnehmen, beim Sporttreiben, beim Arbeitsplatzwechseln oder anderen »guten Vorsätzen«, die Überwindung und Anstrengung kosten, sie aktiv umzusetzen.
Wenn ich nicht selbst Willensstärke aufbaue und daraus aktive Handlungsänderung erreiche, kann ich auch nicht erwarten, dass sich etwas ändert – was ich ja eigentlich will.
Leider bleibt dieser Wunsch nach Veränderung oft nur Lippenbekenntnis, weil es Anderen gefällt → Opportunismus → »political correctness«.
Aber wenn ich es wirklich ernst meine – was soll denn bitte als Lerneffekt herauskommen, wenn ich »weitermache, wie bisher«, weil ja Andere für mich denken und handeln?
Ich unterwerfe mich also freiwillig der Fremdbestimmung, weil das ja ach so schön bequem ist.
Ich will also gar nicht selbst auch nur irgend etwas aktiv gegen die Umweltzerstörung tun – das sollen gefälligst Andere machen.
Für mich ist das Wichtigste mein narkotisiertes Gewissen – soweit kommts noch, dass ich sonst womöglich vielleicht noch schlecht schlafe…!
Das kann ja Jede/r für sich selbst so wollen und entscheiden – okay – muss ich nicht gut finden, aber bitte.
Schlimmer noch: Durch diese Fremdkompensation, diesen Ablasshandel – denn nicht anderes ist dieser Trick der »Ausgleichszahlung« – kann ich unbeschwert sogar noch mehr fliegen, denn es wird ja kompensiert. Und es kommt noch viel schlimmbesser: Bald werden wir zu hören und zu lesen bekommen, dass wir die Umwelt retten, wenn wir noch mehr fliegen, weil ja umso mehr kompensiert wird, je mehr wir fliegen (oder mit’m dicken Schiff umhergondeln). Das kennen wir ja schon vom Elektromarktmarketing: »Je mehr du kaufst, desto mehr sparst du!« – wir sind ja schön blöd!
Was ich jedoch eigentlich schlimm, wirklich richtig schlimm finde, ist der Umstand, dass so etwas als »gute Nachricht« und ausdrückliche Nachahmungsempfehlung in einem weitreichenden Medium laut hinausposaunt wird.
Das passt also leider wunderbar zu meinem Artikel »Die Schreiberlinge stehen auf der falschen Seite«. Ich befürchte, daraus wird eine Serie…
Glaub keiner Zeitung, die du nicht selbst gekauft hast!
Und damit meine ich nicht das Blättle, das du am Kiosk erworben hast…
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Für Fragen, Diskussionen und Interviews stehe ich zur Verfügung.
Viele Grüße
Detlef Jahn
Artikel der Themenreihe:
»Die Schreiberlinge stehen auf der falschen Seite«
»Ist Ablaßhandel die Lösung?«
»Spiegelgefecht«
»Kolumnenkompassfehlstellung«
3 Gedanken zu „Ist Ablaßhandel die Lösung?“