Schelte aus dem Spiegel – Teil zwei

[Fortsetzung von »Schelte aus dem Spiegel – Teil eins«]

Vorgestern habe ich im Artikel »Das Virus hält uns den Spiegel« ziemlich heftig Kritik geübt. Wahrscheinlich wird das sehr vielen Menschen nicht gefallen haben, weshalb ich ein paar Dinge zurechtrücken möchte.

Nochmal wegen der Schelte gegen Eltern

Nein, das war keine vorwurfsvolle Schelte, sondern Schilderung der Situation.
Diese ist so, weil wir im derzeitigen profitgierigen System des Wachstumsfetischismus ausgelaugt werden, bis nichts mehr rauszuholen ist.

Selbstverständlich kann man mir vorwerfen, ich hätte alle Eltern über den einen berühmten Kamm geschoren. Und dass das so drastisch nicht zutrifft, wie ich es geschildert habe.

Natürlich ist es tatsächlich so, dass sehr viele Eltern ihre eigenen Befindlichkeiten hintanstellen, um ihren Kindern soviel Unterstützung zu geben, wie es geht.

Ich bin Schulelternsprecher und Vorstandvorsitzender eines Schulfördervereins.

Selbstverständlich ist mir bewusst, dass sehr viele Eltern während der Schließungen der Kitas und Schulen unter enormem Druck ihren Kindern dennoch liebevolle Zuwendung zuteil werden lassen.

Diesen Eltern danke ich von ganzem Herzen.

Für die Eltern, die von sich glauben, sie würden versagen und gäben nicht genug, habe ich einen kleinen (leider wenig wirksamen) Trost: Ihr seid nicht schuld, denn ihr habt nichts falsch gemacht. Ihr könnt nicht mehr tun, als euch möglich ist.

Die Umstände sind gegen euch, wenn ihr eure Pflicht im »Homeoffice« (was für ein perverses Wort) verrichtet, gleichzeitig vielleicht ein Kleinkind beaufsichtigen müsst und nebenher das größere Kind bei den Lernaufgaben unterstützen sollt.

Das ist ein Spagat, den niemand korrekt ausführen kann.
Das muss schiefgehen.

Deshalb habe ich in meinem Artikel nicht euch gescholten, sondern gezeigt, was das System mit uns macht.

Keine noch so tolle Digitalisierung kann dagegen helfen.

Es ist pervers in sich selbst und in keiner Talkshow kann ich darüber etwas von den Klugscheißern hören:
Wir hoffen, dass uns irgendwelche digitalen Werkzeuge dabei hülfen, uns besser organisieren zu können, unsere Kinder durch immer effizientere Drukbetankung mit Lerninhalten zu befüllen und mit möglichst noch weniger Kostenaufwand für die (falsch bezeichneten, denn sie nehmen ja unsere Arbeit) »Arbeitgeber« die schlechtbezahlte Erwerbsarbeit nun auch von zuhause aus machen zu »dürfen«.

Dass wir damit eine völlige Entgrenzung von »Erwerbsarbeit« und »Privatsphäre« widerstandslos hinnehmen und auch noch aktiv dabei helfen, merkt die Mehrheit schon gar nicht mehr.

Früher gab es mal die Vorstellung und den Anspruch, dass »Technik« den Menschen von »Arbeit« entlasten soll – bisher war noch immer das Gegenteil der Fall. Siehe dazu auch »Das Ende der Illusion«.

Es wird nicht besser, wenn wir die Digitalisierung weiter so hirnlos vorantreiben, wie bisher – es wird schlimmer, weil der Ausbeutungsdruck steigt und wir eben nicht mehr Freiraum bekommen, sondern im Gegenteil: Es kann bald gar nicht mehr zwischen Freizeit und Erwerbsarbeit unterschieden werden, was eine dramatische Zunahme an Boreout wegen Sinnlosigkeit und Burnout wegen Überforderung zur Folge haben wird.

Wir müssen zurücktreten, innehalten und darüber nachdenken, was wir eigentlich wollen.

Geld?
Nunja… George Bernhard Shaw hatte dazu eine Anmerkung:

»Es ist nicht schwer, Menschen zu finden, die mit 60 Jahren zehnmal so reich sind, als sie es mit 20 waren. Aber nicht einer von ihnen behauptet, er sei zehnmal so glücklich.«

Wir brauchen genau das Gegenteil von Verschmelzung der privaten mit der Erwerbsarbeitswelt: Wir brauchen eine Entkopplung, eine Trennung von Privatheit und bezahlter Erwerbsarbeit – die auch nur Andere reich macht oder ausbeutet.

Ein (bedingungsloses) Grundeinkommen, wie ich es im Artikel »Grundeinkommen – Neudefinition 2019« beschrieben habe und wie ich es in vielen Artikeln hier auf meinem Blog begründe, ist eine sehr gute Möglichkeit, diese Trennung zu bewältigen und uns auf die eigentlich wichtigen Dinge zu besinnen, statt immer nur noch mehr irrsinnigen Wohlstand anzuhäufen, den wir schon allein deshalb nicht allen Menschen auf der Welt zugestehen können, weil wir keine zweite, dritte und vierte Erde im Kofferraum haben.

»Erst, wenn der letzte Baum gerodet,
der letzte Fluss vergiftet,
der letzte Fisch gefangen ist,
werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.«
(Weissagung der Cree)

[Fortsetzung: »Schelte aus dem Spiegel – Teil drei«]

Viele Grüße
Detlef Jahn

3 Gedanken zu „Schelte aus dem Spiegel – Teil zwei“

  1. Sehr gut zurecht gerückt. Ich war vorher auch eher mit der Idee gewandelt „Home-Office – welch ein Gewinn!“

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