[Einen Abschnitt aus dem Artikel »Dumm« aufgreifend und Fortsetzung von »Wie kommt das Grundeinkommen in die Welt?« und »Es geht immer ums Geld«.]
Wenn man einige Zeit die Diskussionen in den verschiedenen Facebook-Gruppen zum Thema Grundeinkommen verfolgt, fällt auf, dass sich viele der Diskutanten innerhalb der Gruppen genau so erbittert anfeinden, wie man es außerhalb dieser Gruppen zwischen Gegnern und Befürwortern immer wieder erlebt.
Weshalb ist das so, woher kommt das, was läuft da falsch?
Ich glaube, dass viele Menschen das uns eingetrichterte Konkurrenzverhalten tief verinnerlicht haben und deshalb bei bestimmten Themen eine Art Beißkrampf bekommen und sich entgegen ihrer Selbstwahrnehmung verhalten, ohne es zu merken.
Auch ich erwische mich ab und zu…
Bei der Motivation, sich für ein Grundeinkommen einzusetzen, ist es den meisten Befürwortern wichtig, dass die Gesellschaft zu »guten Werten« finden kann:
- Familienverbünde über mehrere Generationen, die sich gegenseitig bei der Familienarbeit unterstützen und absichern können.
- Ruhe und Gelassenheit üben bei notwendigen Arbeiten, bei der Kindererziehung, für die Ausübung eines Ehrenamtes und um einfach ein »Leben in Balance« führen zu können.
- Zu wissen, dass »einem nichts passieren« kann, weil man sich in einem Umfeld befindet, dass sich für den Nächsten interessiert und ihm hilft, wenn Not ist.
- Die Befriedigung zu erleben, wenn man im gemeinsamen Lebensbereich etwas leistet.
- Wenn man sicher ist, dass die eigene Leistung sinnvoll ist und auch positiv im eigenen Lebensumfeld wirkt.
Wenn aber dann über ein Grundeinkommen diskutiert wird und es um die Ausgestaltung und besonders um die Finanzierung geht, dann kommt wieder der Konkurrenzkampf zum Tragen. Es wird vergessen oder gar nicht erst bedacht, dass man auch beim Ausarbeiten eines guten Grundeinkommens bereits die Tugenden lernen, üben und pflegen sollte, die man dann mit einem Grundeinkommen (er)leben möchte.
Ich erlebe zu viele persönliche Animositäten und kindische Rechthabereien, und zu wenigen sachlichen Austausch.
Ich vermisse positives Entgegenkommen.
Man kann doch eine andere Sichtweise habe, aber dann muss man sich doch verständigen und versuchen, die Gründe für den anderen Standpunkt zu verstehen, um vielleicht selbst bessere Argumente zu finden.
Und auf der anderen Seite sollte man die eigenen Argumente und vor allem die verwendeten Formulierungen überdenken, wenn diese von der Gegenseite offensichtlich falsch verstanden werden, anstatt dem Diskussionspartner Blödheit zu unterstellen – vielleicht habe ich ungeschickt formuliert, so dass er mich missverstanden hat. Rückfragen hilft da sehr viel.
Und man sollte vielleicht auch gestellte Fragen nicht als Unwilligkeit des Fragenden abtun, sondern sachlich beantworten. Auch das hülfe, Missverständnisse zu vermeiden oder aufzuklären.
Solange sich die Befürworter eher die Köpfe einschlagen, als aufeinander zuzugehen, werden wir keine Mehrheit für unsere Idee erhalten oder wir bekommen ein Grundeinkommen vorgesetzt, welches nicht unseren Vorstellungen entspricht.
Sachliche Beantwortung der Gegenargumente und eine bewusste und zielgerichtete Ausarbeitung von Kriterien, die für ein gelingendes Grundeinkommen wichtig sind, sind zwingende Voraussetzung, »dem System« ein Grundeinkommen abzutrotzen, das die Kriterien des Netzwerkes Grundeinkommen erfüllt – oder die von mir in »Grundeinkommen – Neudefinition 2019« neu formulierten Kriterien.
Es gibt eine starke Angst beim »normalen Durchschnittsmenschen«, nämlich die Angst, eingeschränkt zu werden, beim materiellen Auskommen, bei den Bildungsmöglichkeiten, der bezahlten Erwerbsarbeit, bei Unterstützung in Notlagen.
Diese Angst steckt tief in uns drin und ist uns seit vielen Generationen anerzogen worden, weil genau diese Angst verhindert, dass wir unsere wahren Feinde erkennen. Stattdessen lassen wir uns aufeinanderhetzen und uns in Kleingkeiten gegenseitig zermürben. Dabei verlieren wir unser eigentliches Ziel aus den Augen und sind deshalb »dem System« nicht gefährlich – solange wir uns miteinander streiten, werden wir den Mächtigen nicht gefährlich.
Wir lassen uns Angst einjagen vor Ausländern, die uns Arbeitsplätze wegnehmen, damit wir nicht merken, dass diese Arbeitsplätze selbst für uns gar nicht reichen würden.
Wir lassen uns einreden, die Fremden würden unsere Sozialsysteme überlasten und würden doch ohne deren Anwesenheit keinen einzigen Euro mehr in der Tasche haben.
Und beim Grundeinkommen glauben wir, dass die faulen Schmarotzer unser teuer erschuftetes Geld verfressen und dadurch unseren ach so tollen Staat ruinieren.
Wir müssen verstehen, dass diese Angst sehr real und sehr stark ist. Dass sie keine reale Grundlage hat und nur auf »schlechten Gefühlen« beruht, dass sie uns nur eingepflanzt wurde, macht sie weder kleiner, noch schwächer.
Und wir müssen lernen, diese Angst zu berücksichtigen und uns immer wieder klarmachen, dass die Gegner und Zweifler – sofern sie nicht aus dem Kreis der Reichen und Mächtigen kommen – gegen ein Grundeinkommen argumentieren, weil sie dieser Angst aufsitzen, meist, ohne es zu wissen oder wahrhaben zu wollen.
Wir müssen lernen, ihnen zu sagen: »Niemand will Dir etwas wegnehmen, sondern wir wollen dass Du mit Hilfe des Grundeinkommens freier (und deshalb besser) leben kannst.«
Wir müssen ihnen erklären, dass wir nicht glauben, sondern wissen, »Dass Du mir nichts wegnimmst, wenn Du einen anderen Lebensweg gehst, als ich, indem Du (erst einmal) keiner bezahlten Erwerbsarbeit nachgehst, weil Du vielleicht überhaupt erst einmal zu Dir finden musst.«
Wir können den Anderen nicht vorschreiben, was sie zu denken oder wie sie zu fühlen haben – wir müssen ihnen die Angst nehmen, etwas zu verlieren, wenn sie andere »durchfüttern«, weil das gesamte gesellschaftliche Funktionieren darauf beruht, dass man Anderen vertraut, dass sie sich einbringen werden – in welcher Form auch immer.
Wir müssen verständlich machen, dass es normal und für eine funktionierende Gesellschaft noch nie ein ernsthaftes Problem war, wenn sich eine Minderheit nicht aktiv beteiligt – und überall und zu allen Zeiten gab es solche Minderheiten und es wird sie auch immer geben, aus vielfältigen Gründen.
Und wer weiß – Mancher, den wir als faule Sau einschätzen, wird sich mit einem Grundeinkommen als ein wertvolles Mitglied unserer Gemeinschaft erweisen, weil ihn das Grundeinkommen überhaupt erstmalig in die Lage versetzt, sein Können und/oder sein Wissen unter Beweis zu stellen.
»Es ist nichts Großartiges daran, besser zu sein als jemand anderes.
Wahre Größe zeigt sich darin, besser zu sein, als man selbst vorher war.«
(Plakat in einer Klasse)
Geht respektvoll miteinander um, denn ihr wollt respektvoll behandelt werden.
Hinterher wird unwichtig sein, welchen Weg wir genommen haben, wenn wir es schaffen, friedlich eine neue Gesellschaft aufzubauen.
Viele Grüße
Detlef Jahn
5 Gedanken zu „Du nimmst mir nichts weg“