Warum hat es die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens so schwer, eine große Anhängerschaft zu finden und am Ende auch Realität zu werden? Das mit der Angst vor dem Neuen habe ich ja schon kurz erwähnt. Heute will ich den Bogen nochmal zurück zur Arbeit schlagen.
Spätestens seit der Zeit, als der Aufbau nach dem 2. Weltkrieg weitgehend abgeschlossen und alles wieder mehr oder weniger in geregelten Bahnen lief, begann die Führungselite, uns das Wort von der ›Vollbeschäftigung‹ einzuflüstern. Ein Samen, der aufgegangen ist. Denn seither werden wir nicht müde, uns von den Entscheidern einreden zu lassen, dass Vollbeschäftigung das wichtigste oder zumindest eins der wichtigsten Ziele der sogenannten ›Arbeitsmarktpolitik‹ sei. Mit Erfolg. Dass wir damit einem bösen Märchen aufsitzen, wollen wir nicht gern hören.
Was war schon immer das Ziel von Mechanisierung in allen Epochen der Menschheitsgeschichte? Eigentlich ist die Frage unscharf. Korrekt wäre Plural: Was waren schon immer die Ziele von Mechanisierung zu allen Zeiten der Menschheitsgeschichte? Weshalb ist das Rad erfunden worden und weshalb nutzt man die Kraft von Wasser, Dampf, Elektrizität, Hydraulik und Flaschenzug? Erstens, um sich zu entlasten von körperlich anstrengender und sogar gesundheitsgefährdender Arbeit und zweitens, um weniger Zeit für gleichen Arbeitserfolg zu investieren und drittens, um mehr Ertrag aus gleichem Kraft- und Zeitaufwand zu erzielen.
Über lange Zeit waren diese Gründe eine glaubhafte Rechtfertigung, weil die Arbeitsleistung nicht alle Grundbedürfnisse und ein wenig Komfort zuverlässig und gleichmäßig und vor allem langfristig sichern konnte. Es herrschte Mangel an Vielem. Aber durch die Entwicklung der letzten ungefähr 300 Jahre sind wir in der Mitte des 20 Jahrhunderts in einer Situation angekommen, in der nun die wichtigsten Bedürfnisse gedeckt waren und die Arbeit weitgehend körperlich zumutbar – zumindest in dem Teil der Welt, den wir als ›hochentwickelte Industrienationen‹, oder gemeinhin den ›Westen‹ nennen. Wir begannen satt und zufrieden zu werden und kamen erstmals in der Menschheitsgeschichte in den Genuss in realem materiellem Überfluss zu leben.
Nun hätten wir unser Arbeitspensum senken können – das lang ersehnte Ziel war erreicht. Und was haben wir gemacht: wir haben die vorhandene Arbeit so verteilt, das die Arbeitslosenzahlen wieder nennenswert wurden. Jetzt gab es tatsächlich auch Gewerkschafter, die forderten eine weitere Absenkung der Arbeitszeit, aber 35 Stunden wurden nur in sehr wenigen Fällen praktische Realität und seit der Vereinigung er beiden deutschen Staaten steigt die Arbeitszeit wieder stetig an. Nicht, weil wir zu viel Arbeit und zu wenig Hände dafür haben, sondern weil die wirklich Mächtigen ihre Macht ausüben und uns unter individuellem Konkurrenzdruck halten und die Schraube sogar immer härter festziehen. Und immer wird uns erzählt, dass eine Vollbeschäftigung möglich sei.
Nun ist es aber so, dass die Arbeitsproduktivität, also der Ausstoß an Arbeitsergebnis je Einheit Arbeitsaufwand (Zeit, Energie, Geld) immer weiter steigt und immer weniger Menschen nötig sind, um immer mehr Produkte für immer mehr Menschen herzustellen. Wenn wir von der Prämisse ausgehen, dass jeder Mensch bei Vollbeschäftigung mit einem ›normalen‹ Zeitaufwand von vielleicht 35 bis 40 Stunden pro Woche seinen vollen Lebensunterhalt verdienen können sollte (auch für die nicht arbeitsfähigen Familienmitglieder), dann sieht es schlecht aus. Wir haben Millionen, die ohne Unterstützung ihren Lebensunterhalt nicht decken können, egal, ob sie einer bezahlten Erwerbsarbeit nachgehen oder nicht. Es sind nicht halb soviel freie Arbeitsplätze ausgeschrieben, wie wir registrierte ›Arbeitssuchende‹ haben – selbst wenn also alle offenen Stellen erfolgreich besetzt würden und das auch ausschließlich aus den Reihen der ›Arbeitssuchenden‹, würde eine riesige Menge ›Arbeitssuchende‹ ohne bezahlten Arbeitsplatz sitzen bleiben und niemals in der Lage sein, Ihren Lebensunterhalt selbst zu erarbeiten, was ja Doktrin ist – »Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.« Und in Wrklichkeit gibt es auch viel mehr ›Arbeitssuchende‹, als uns die offizielle geschönte Statistik weismachen soll. Und es ist mathematische Gewissheit, dass sich dieser Zustand verschärfen wird, weil die technischen Fortschritte immer schneller an der Kurbel drehen und in nicht allzu ferner Zukunft werden Maschinen in der Lage sein, vollständig autonom vollständige Produktionskreisläufe ohne menschlichen Eingriff abzudecken. Spätestens dann ist vollständig Ende der Fahnenstange und die Illusion von der Vollbeschäftigung platzt wie eine Seifenblase.
Am bedingungslosen Grundeinkommen (bGE) führt kein (vernünftiger) Weg vorbei. Und das ist völlig unabhängig davon, in welchem Wirtschaftssystem wir leben oder wie wir mit unserer Ökosphäre umgehen.
Wenn wir nicht jene unterstützen, die keine Möglichkeit haben, aus eigener Kraft ihren Lebensunterhalt selbst zu erwirtschaften, werden sie bald eine relevante Menge erreichen und wir werden blutige Auseinandersetzungen erleben, weil wir dann wieder echte Mangelkonkurrenz haben werden.
Deshalb wird das bGE aus Gründen der allgemeinen Sicherheit kommen.
Oft wird das BGE in einem Atemzug mit ›Umverteilung von oben nach unten‹ genannt. Das ist sachlich nicht nachvollziehbar, weil ein BGE an den Besitz- und Machtverhältnissen aus sich selbst heraus keinesfalls auch nur ein Jota ändert.
Das ist auch das gefährliche an unpräziser Diskussion zum Thema bedingungsloses Grundeinkommen. Zu arglos wird herbeigewünscht, was das BGE alles kann und in welch toller Welt wir leben werden, wenn es ein BGE gibt. Das ist alles unsinniges und vor allem heillos naives Wunschdenken.
Das Einzige, was das BGE bringen wird, ist Befreiung vom Zwang, unseren Lebensunterhalt durch bezahlte Erwerbsarbeit erarbeiten zu müssen. Stattdessen werden wir unseren Lebensunterhalt erstmals tatsächlich bekommen, weil wir ihn verdienen. Weil wir Menschen und Teil der Gemeinschaft sind.
Es gibt nur zwei Wege: entweder wir kehren zurück in den Wald und die Höhlen und essen sprichwörtlich, was uns in die Finger kommt und werden alle wieder reine Selbstversorger. Das halte ich für unwahrscheinlich, weil sich die technischen Errungenschaften wohl eher nicht einfach so ignorieren lassen. Oder wir behalten unsere technische Ausstattung bei und entwickeln sie weiter und behalten vor allem vorerst das Geld als Tauschmedium in einer arbeitsteiligen Fremdversorgerwelt. Dann bleibt es dabei, dass immer weniger Arbeit immer mehr Erzeugnisse hervorbringt und nicht alle Menschen bezahlte Erwerbsarbeit finden können, um ihren Lebensunterhalt selbst zu erarbeiten. In diesem Fall bleiben zwei Möglichkeiten: entweder wir entscheiden uns für Barbarei und lassen die Verlierer dieses Spiels einfach sterben oder wir bleiben beim Versuch der Zivilisation und geben jedem zu essen und ein Dach über dem Kopf und befähigen ihn damit, sich einzubringen und teilhaben zu können.
Das BGE ist kein Heilmittel für eine geschundene Natur, kein Umverteilungsinstrument und auch kein Klassenkämpfer. Das BGE ist ein Ermöglicher. Was wir damit anfangen werden, liegt an jedem Einzelnen selbst.
Die Zeit ist schlecht? Wohlan. Du bist da, sie besser zu machen.
(Thomas Carlyle)
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Viele Grüße
Detlef Jahn
3 Gedanken zu „05: Das Ende der Illusion“