Diesen Brief habe ich übersandt bekommen und seine Veröffentlichung ist mir vom Verfasser erlaubt worden. Als Vorlage diente mein Brief »Unfassbares Politikversagen«.
Sehr geehrter Herr Jahn,
vielen Dank für Ihre Mühe, sich so einen „Brandbrief“ auszudenken. Respekt!
Wir haben Ihre Vorlage genutzt und werden den Brief an verschiedene Stellen senden (Kultusministerium, Stadt Leipzig, Kulturamt, etc.).
Wir senden Ihnen eine Kopie zu. Vielleicht machen es ja mehrere Eltern, damit es irgendwann was bringt. Wir sind sehr gespannt, ob es überhaupt eine Reaktion gibt.Ein schönes Wochenende und liebe Grüße
Familie J.
Sehr geehrte Damen und Herren,
am kommenden Montag (15.03.2021) soll nun endlich der Präsenzunterricht der 5. Klassen, in Form des Wechselunterrichts, wieder starten. Diese langersehnte Entscheidung, welche wir dem sächsischen Kultusminister – und nicht etwa dem sächsischen Ministerpräsidenten oder gar der Sächsischen Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt – zu verdanken haben, freut uns im Allgemeinen sehr, da seit nunmehr 3 Monaten kein Präsenzunterricht mehr stattgefunden hat. Die Kultur hat dagegen weiterhin Pause, aber dazu im späteren Verlauf.
Nun hat diese langersehnte Information zur Öffnung der Schulen, wie auch viele der anderen Entscheidungen der letzten Monate, wieder den ein oder anderen bitteren Beigeschmack. Man könnte auch sagen, es gilt – wieder einmal – die ein oder andere „Kröte“ zu schlucken. Kurzum, es fällt schwer, den Versprechen der Politiker*Innen in der letzten Zeit noch Glauben zu schenken.
Neben einem ausgefeilten Hygienekonzept der Schule, welches auch schon nach den Sommerferien 2020 vorhanden war und welches sehr gut funktioniert hat, sollen die Schüler nun auch getestet werden. Aber Halt! Vielleicht doch nicht alle?
Wenn man der Aussage auf dem SMK-Blog vom 04.03.2021 Glauben schenken darf, auf dem die ersten Eckpunkte der neuen Corona-Schutzverordnung für den Freistaat Sachsen angegeben sind, sollte es eine Testpflicht an Schulen geben.
[…] „Die Testpflicht soll mit Selbsttests umgesetzt werden, parallel können auch Schnelltests durch geschultes Personal stattfinden. Das Kultusministerium ist derzeit mit der Beschaffung der Tests in ausreichender Menge beschäftigt, damit diese ab dem 15. März zur Verfügung stehen. Ab der Klassenstufe 5 sollen sich Schülerinnen und Schüler dann einmal pro Woche testen, Lehrkräfte und weiteres Schulpersonal zweimal die Woche. Der Test soll an der Schule durchgeführt werden, alternativ kann auch ein aktueller Testnachweis vorgezeigt werden. Die Teilnahme am Präsenzunterricht ist nur mit der Vorlage eines negativen Tests möglich. Bei einem positiven Testergebnis findet der Unterricht in Distanz statt, in dem Fall muss eine schriftliche Abmeldung erfolgen.“ […]
In der Textpassage „Ach wie flüchtig, ach wie nichtig“, aus der gleichnamigen Kantate (BWV 26) des früheren Leipziger Thomaskantors Johann Sebastian Bach (1685 – 1750), spiegelt sich mein Denken über Halbwertszeit der Aussagen unserer Politiker*Innen in den letzten Monaten wider. Man kann sich auf die Aussagen nicht mehr verlassen, geschweige denn ihnen Glauben schenken oder gar noch diese in irgendeiner Weise ernst nehmen.
Mit Verlaub – all dies fällt mir sehr schwer.
Nun habe ich die Information erhalten, dass das Rote Kreuz an unserer Schule vom 15. bis 17.03.2021 die Schüler*Innen ab der 7. Klasse und die Lehrer*Innen testen wird. [Anm.: Die Johanniter werden die Tests machen – das wusste der Verfasser nicht, als er das schrieb.] Das Ganze auf freiwilliger Basis.
Erst die Selbsttests sollen dann verbindlich für alle Schüler*Innen und Lehrer*Innen sein. Nur wann sind diese in ausreichender Anzahl vorhanden?
Schüler*Innen der 5. und 6. Klassen brauchen also derzeit nicht getestet zu werden? Sind sie etwa immun, bekommen bzw. übertragen sie in keiner Weise den Corona-Virus?
Vielleicht sollten die Schülerinnen der 5. und 6. Klassen im Schulgebäude die Luft anhalten und zum Atmen jeweils das Schulhaus verlassen oder vielleicht ihre Köpfe zum Atmen aus den Fenstern – welche in manchen Schulen gar nicht zu öffnen sind – hängen? Aber das ist gar kein Problem – die Schüler*Innen der 5. und 6. Klassen machen an unserer Schule durchaus „nur“ die Hälfte der Gesamtbelegung aus – etwa 200 an der Zahl.
Seit einem Jahr höre ich von den von uns gewählten Volksvertreter*Innen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, für welchen ich immer ordnungsgemäß meine GEZ-Gebühren entrichte, immer wieder die Floskel: „Testen, Testen, Testen …“. Und dann sind keine Tests da, weil zu wenige bestellt wurden.
Das Gleiche sehen wir nun beim Impfstoff. Jetzt „versuchen“ zwei Politiker – der Bundesminister für Gesundheit und der Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur – die Testbeschaffung zu beschleunigen und die Impfungen voranzutreiben. Der derzeitige Gesundheitsminister hat in der Vergangenheit zu spät unterschrieben, der derzeitige Verkehrsminister zu schnell. Was für eine Traumbesetzung.
Gleichzeitig lässt man sich eine Hintertür damit offen, indem man immer wieder betont, dass Impfstoffe nun kommen werden und damit in den nächsten Monaten eine schwer zu bewältigende Impfwelle auf die Impfenden zurollt und ein „Impfstau“ entstehen könnte. Das klingt für mich trotzig, frei dem Motto: „Ihr wolltet doch die Impfungen schnell, dass habt ihr (das Volk) dann davon“.
Obendrein wird in sämtlichen Talkshows die Pandemie-Strategie beklagt. Dies ist aus meiner Sicht ein hausgemachtes Problem. Erst verharrt die Politik über den Sommer 2020 im „Dornröschenschlaf“ und dann, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, wird geklagt. Die Diskussionen über dies Alles machen mich sehr verdrossen.
Nicht zuletzt sind auch die Entscheidungen des amtierenden sächsischen Ministerpräsidenten zu erwähnen. Wir waren in Sachsen z.B. das Schlusslicht bei der Umsetzung von „Click and Collect“. Die Liste der Problemfälle ließe sich weiter fortsetzen.
Der Amtseid, den die Mitglieder unserer sächsischen Landesregierung ablegen, lautet:
[…] „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohl des Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, Verfassung und Recht wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegenüber allen üben werde.“ […]
Der Eid kann auch mit der Beteuerung „So wahr mir Gott helfe.“ geleistet werden.
Diesen Eid sehe ich in den letzten Monaten auf das Massivste verletzt, denn Schaden wird mit den Beschlusslagen der letzten Monate im Zusammenklang mit dem Test- und Impfdesaster nicht abgewendet, sondern verstärkt. Dies ist meine persönliche Meinung.
Wenn die aktuelle Vorgehensweise bei der Pandemiebekämpfung einer Art „gewissenhaften Pflichterfüllung“ gleichen soll, sollten die Entscheider der aktuellen Beschlüsse meiner Meinung nach zurücktreten, denn in der freien Wirtschaft würden „normale Angestellte“, zu denen ich auch gehöre, mit solch einem Grad an „Gewissenhaftigkeit“ einer Entlassung entgegensehen.
Den Sommer 2020 hat die Politik, wie schon erwähnt, komplett verschlafen. Jetzt dürfen wir noch dankbar dafür sein, dass die Politik für uns wieder lockert. Hier ist doch schon jedem normal denkenden Bürger klar, wohin das bei nicht vorhandenen Tests und einer desaströsen Impfstrategie führt: in den nächsten Lockdown. Wahrscheinlich wird dieser dann reißerisch als „Lockdown Deluxe“ bezeichnet.
Angesichts einer Virusmutation, von der wir aus Großbritannien erfahren, wie schnell sie sich verbreitet und wie viele Menschen sie auf die Intensivstationen gebracht hat, immer wieder vom Testen zu sprechen, ohne dass irgendwer weiß, wann Tests überhaupt in ausreichender Zahl verfügbar sind und auf welche Weise die Tests organisiert und durchgeführt werden sollen – da weiß man tatsächlich nicht mehr, was man dazu sagen soll.
Fernab dem Thema der Schulöffnung, welche nun ja bevorsteht, treibt mich ein weiteres wichtiges Thema um – die Wiederbelebung der Kultur. Ich selbst bin Chorleiter eines Frauenchores. Wir können seit nun genau einem Jahr nicht mehr gemeinsam proben, da das Singen als sehr gefährlich eingestuft wurde und den Virus befeuern könnte. Wahrscheinlich hat die Kultur in Deutschland nicht die entsprechende Lobby, oder wie soll man verstehen, dass Kontaktsportarten wie z.B. Fußball schon seit langem wieder ausgeführt werden dürfen, dort scheinbar genügend Geld und Tests vorhanden sind, die Kultur aber weiterhin verkümmert. Möchte man die Bürger*Innen mit Fußballübertragungen vielleicht einfach nur ruhig und klein halten?
Auch ich habe übergangsweise im Sommer einen großen Probenraum in Leipzig finden können, der es wenigstens ermöglicht mit einem halben Chor und den vorgegebenen Abständen zu proben. Auch wir haben ein belastbares Hygienekonzept vorweisen können. Größere Probenräume hatten aber, wie für viele andere Chöre auch, erhöhte Mieten zur Folge. Wie soll ein Laienchor in gemeinnütziger Vereinsform dies finanziell auf Dauer stemmen können?
Für die Renaissance der Kultur müssen auch Teststrategien her, aber woher die Tests nehmen, wenn keine vorhanden sind. Die Kultur wird einfach stiefmütterlich behandelt und findet durch unsere Politiker*Innen alles in allem größtenteils keinerlei Erwähnung mehr. Man kann sogar sagen, sie hat während der gesamten Pandemie keinerlei Erwähnung gefunden.
Eine Unterstützung dieser beiden Bereiche – Schule und Kultur – sehe ich überhaupt nicht. Das ist vorsätzlich unterlassene Hilfeleistung. Im März 2020 wurde noch vom Bundesminister für Finanzen die Metapher „Bazooka“ verwendet. Von der Wirkungsweise der Metapher war und ist in der Realität weit und breit nichts zu spüren.
Ich bin definitiv dafür, die Schulen zu öffnen bzw. die Kultur wieder zu reanimieren. Es geht alles in allem um die Zukunft unserer Kinder. Auch die Kultur ist für das Wohlbefinden des Volkes von größter Bedeutung. Schon Friedrich Nitzsche sagte: „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum“. Aber die Theorie der derzeitigen Entscheidungen stehen diametral zur Praxis. Und um dafür einen Gleichklang zu finden, hatte die Politik mehr als genügend Zeit! Derzeit ist die Politik der Irrtum.
Alles in allem ist das meiner Meinung nach Politikversagen in höchster Vollendung. Immer noch gilt für mich: Nicht das Volk wird von unseren Politiker*Innen bezahlt, sondern die Politiker*Innen vom Volk.
Mit freundlichen Grüßen
T. J.
Zur Veröffentlichungserlaubnis schrieb er noch Folgendes:
»Nach dem Schreiben geht es mir auch ein wenig besser. Ich habe schon länger über so eine Aktion nachgedacht.
Vielen Dank, dass Sie mir mit ihrer Idee mein Fass zum Überlaufen, meinen Mut geschürt haben und mir über diese Schwelle geholfen haben.«
Darüber freue ich mich sehr – herzlichen Dank.
Viele Grüße
Detlef Jahn