Professor Straubhaar gesellt sich in die Gruppe derjenigen, die die »Friday for Future«-Bewegung verächtlich machen.
Und wie alle Kritiker hat er gar nicht verstanden, was da klimatisch auf uns zukommt und was die Unterschiede zur Vergangenheit sind bei der Wahl der Mittel zu einer möglichen Schadensminderung – für eine Gefahrenabwehr ist es schon lange zu spät.
Ich beziehe mich auf den Artikel »Gegen den Klimawandel helfen keine Schülerdemos« vom 10.05.2019.
So zeigt sich, erstens, dass die wirkungsmächtigsten Lösungen manchmal aus ganz anderen Richtungen als erwartet kommen. Weder brachten eine göttliche Intervention noch Verwaltungsvorschriften der Regierung den Großstädten Abhilfe. Es waren auch nicht Massenproteste der Weltretter oder der Notleidenden, die Pferdekutschen und Lasttiere aus den Metropolen vertrieben.
Die durch Zugtiere hervorgerufenen Probleme von Mist, Gestank und Abgasen wurden nahezu ausschließlich durch technologische Innovationen gelöst. Warum sollte die Kraft der Innovation nicht auch im 21. Jahrhundert die effektivste Waffe im Kampf gegen CO2-Emissionen, Erderwärmung und Klimawandel bleiben?
Zweitens war das Ende der Pferdewirtschaft und der Aufschwung der Automobile im Übergang zum 20. Jahrhunderts kein gradueller Übergang. Was sich damals in kürzester Zeit abspielte, war eine abrupte Kehrtwende. Sie erfolgte rasch, radikal und resolut, fegte Altes komplett weg und brachte etwas völlig Neues. Ähnliches könnte in Zukunft passieren.
Was ist nun davon zu halten, wenn ein durchaus nicht ungebildeter Mensch so etwas schreibt?
Worin bestehen die Unterschiede von damals zu heute, die er (absichtlich?) missachtet – oder nicht kennt?
- »Die durch Zugtiere hervorgerufenen Probleme von Mist, Gestank und Abgasen« waren örtliche, bestenfalls regionale.
Die Probleme, die uns der Klimawandel beschert und noch bescheren wird, sind globaler Natur und von ungleich höherer Wirkkraft. - Die Durchsetzung des Automobils war profitgetrieben und beruht keineswegs darauf, »die durch Zugtiere hervorgerufenen Probleme von Mist, Gestank und Abgasen« zu beseitigen – das war bestenfalls ein sehr gerne, aber nur nebenher ausgenutztes Zusatzargument.
Das eigentliche Ziel war der Profit der Groß- und beginnenden Fließbandindustrie mit starker Unterstützung der jungen Ölkonzerne, finanziert vom alten Großfinanzadel. - Die Probleme, die uns in der Zeit von der Ablösung der Pferde bis heute der Verbrennungsmotor und die darauf aufbauende Entwicklung eingebrockt hat, sind um ein Vielfaches höher, als es alle Pferdefuhrwerke aus der gesamten Menschheitsgeschichte jemals gekonnt hätten.
Aber vielleicht kommt ja doch noch was, dem man folgen könnte. Ich bin ja willens, nach Positivem zu forschen – wie ja auch schon bei all seinen Äußerungen zum Grundeinkommen – allein, es funktioniert nicht.
Straubhaar ist ein Helfer der Mächtigen und stellt sich zu den leider Vielen, die sich gegen den Kampf gegen Umweltverschmutzung, die Offenlegung von Betrug bei Nahrungsmittelherstellung und -verkauf und beispielsweise die Umsetzung eines tragfähigen Grundeinkommens stellen und damit gegen die Durchsetzung der Menschenrechte handeln und die Aufrechterhaltung von Ausbeutung und Unterdrückung unterstützen.
Aber versuchen wir, sachlich zu bleiben:
Weder das mit Schulschwänzen geschärfte Bewusstsein noch Aufrufe zu politischen Aktionsprogrammen, noch durch Anreize oder gar Verbote angestrebte Verhaltensänderungen und auch nicht Steuern auf fossile Brennstoffe oder Abgaben auf Treibhausgase sind in der Lage, für wirklich nachhaltige Lösungen zu sorgen.
Antwort kurz und knapp:
- Das hier kritisierte Bewusstsein ist nicht durch Schulschwänzen geschärft, sondern durch Erkennen der Gefahr, durch Verstehen der Zusammenhänge, durch Angst vor der von den eigenen Eltern und Großeltern zerstörten Zukunft.
- »Die Wirtschaft«, »der Markt« und die »Finanzindustrie« haben allesamt noch nie Einsicht in Vernunft gezeigt oder gar tatsächlich nachhaltig gehandelt – immer mussten sie durch Gesetze gezwungen werden, weniger Schaden anzurichten, Schäden zu beseitigen oder Menschenrechte zu wahren.
Sie haben sich noch niemals in der Geschichte für etwas anderes interessiert, als für die eigene Macht und das Geld, um diese Macht zu erlangen und zu verteidigen.
Der korrekte Satz muss heißen:
Nur Anreize oder gar Verbote und auch Steuern auf fossile Brennstoffe oder Abgaben auf Treibhausgase sind in der Lage, für wirklich nachhaltige Lösungen und angestrebte Verhaltensänderungen zu sorgen.
Das alles kann zwar im günstigen Falle helfen, die offensichtlichsten ökologischen Verwerfungen zu mindern, ein paar Verbesserungen zu erwirken und das Feld für eine Neuerfindung von Mobilität und Wärmeerzeugung zu bereiten. Aber es droht, wie es typisch ist für schrittweises Vorgehen, dass man nur langsam vorankommt, auch weil es immer wieder von verschiedenster Seite Interessengruppen gibt, die ein schnelleres Vorgehen aus Eigennutz bremsen.
Auch hier fallen Antworten leicht:
- Es kann nicht helfen und schon gar nicht nur im günstigsten Fall, sondern es ist einzige Möglichkeit, Verbesserungen zu erwirken.
- Es droht nicht durch das Verhängen von Ge- und Verboten ein langsames und schrittweises Vorgehen, sondern durch die Bremsbemühungen der Eigennützigen – und das sind gerade nicht diejenigen, Herr Straubhaar, die Sie für dumm verkaufen wollen, sondern jene, denen die Ge- und Verbote auferlegt werden müssen, damit sie lernen, nachhaltig zu handeln und Menschenrechte zu achten und zu verwirklichen!
- Die Politiker sollten nach Lage der geltenden Gesetze unäbhängig beschlussfähig sein – da sollte also eigentlich gar niemand bremsen können und wenn doch, stimmt etwas nicht.
Alles, was nach Darstellung sämtlicher ernstzunehmender Wissenschaftler und anderer Fachleute nötig wäre, um schnell Wirkung zu zeigen, könnte morgen beschlossen werden und übermorgen Rechtskraft erlangen – wenn die Politiker ihren Auftrag ehrlich ausführen würden.
Es ist also wie immer:
Die jungen Leute, die sich für ihre eigene Zukunft stark machen und deren Sympathisanten und Unterstützer werden infam und vorsätzlich als Dummköpfe und Naivlinge verunglimpft oder – noch perfider – ihnen wird die Schuld in die Schuhe geschoben, weil sie angeblich durch ihre Forderungen für Unsicherheit sorgen und Entscheidungsprozesse verzögern würden.
Da ist doch wieder einmal genau die richtige Stelle für meinen Lieblings-Tucholsky:
»Im übrigen gilt ja hier derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht…«
Und weiter geht der Unsinn:
Gerade auch mit Blick darauf, dass der Löwenanteil von über 95 Prozent aller CO2-Emissionen außerhalb deutschen Einflusses verursacht wird, ist ein Umdenken vonnöten. Den größten Beitrag zur Überwindung von Erderwärmung und Klimawandel können deutsche Gesellschaft, Wirtschaft und Politik leisten, wenn sie ein kreatives Umfeld für Tüftler und Technofreaks schaffen, die das große Ganze vollständig neu und komplett anders denken – so, wie das Carl Benz, Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach einst erfolgreich taten.
Ich bleibe mal bei den kurzen Antworten:
- Richtig – gerade, weil 95 % woanders verursacht werden, sollten wir den Verursachern zeigen, wie es besser gemacht werden kann. Denn wie wusste schon Goethe:
»Alles Gute, was geschieht, setzt das nächste in Bewegung.«
- Den schwarzen Peter Anderen zuzuschieben, ist leicht, aber es ist nichts weiter, als eine dumme Ausrede, denn:
»Wo kämen wir hin, wenn jeder sagte: »Wo kämen wir hin?« und keiner ginge, um zu sehen, wohin wir kämen, wenn wir gingen.«
(Kurt Marti, Schweizer Theologe und Schriftsteller) - Die beste Voraussetzung, »ein kreatives Umfeld für Tüftler und Technofreaks zu schaffen, die das große Ganze vollständig neu und komplett anders denken«, wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen – aber Sie sind ja dagegen und wenn Sie doch mal dafür sind, dann wollen Sie sämtliche Sozialleistungen »gegenrechnen« und abschaffen, womit Sie gegen ein Kernanliegen eines Grundeinkommens verstoßen.
Es scheint also nicht weit her zu sein mit dem Herrn Professor Straubhaar…
Eine derartige Disruption ist auch heutzutage noch möglich.
Dafür spricht der Siegeszug von iPhone und Smartphone. Sie ersetzen nicht nur technisch Festnetz, Tischtelefon und eine Vielzahl von Druckerzeugnissen. Sie verändern kulturell ebenso die Art und Weise von Nachrichtenbeschaffung, Wissensübertragung und Zusammenleben.
Stimmt.
Aber:
- Die Disruption ist schon seit zehn Jahren in vollem Gange und beschleunigt zur Zeit enorm.
- »Der Siegeszug der Smartphones« sorgt jedoch leider ganz nebenher für schwerstwiegende Umweltschäden, die geschmeidig unter den Tisch fallen gelassen werden.
Beleg genug sind die unmenschlichen Bedingungen, unter denen Coltan abgebaut wird, die Schäden durch Gewinnung »seltener Erden« und die gigantischen Berge, die als Elektroschrott in der Welt sind. - Die Veränderungen der Art und Weise von Nachrichtenbeschaffung, Wissensübertragung und Zusammenleben sind technisch gesehen besser, aber nur im Sinne von »schneller« und »leichter und universeller verfügbar« – im Sinne von Gesundheit, Ökologie und Sozialinteraktion verursachen sie weit, weit mehr Schaden, als sie Verbesserung auf technischer Seite bringen.
Was wiegt schwerer?
Der letzte Satz wäre ein ziemlich guter, wenn die ganzen Unsinnigkeiten vorher nicht wären:
Warum sollte sich bei Mobilität, Strom- und Wärmegewinnung nicht eine von Mittelstand und Verbrauchern gleichermaßen beschleunigte technologische Kehrtwende weg von fossilen Brennstoffen hin zu komplett neuen Konzepten wiederholen, wie sie in der Kommunikation vor wenig mehr als einer Dekade selbst im 21. Jahrhundert über Nacht ohne Verstaatlichungen oder Industriepolitik schnell, radikal und umfassend möglich war – nicht nur in Deutschland, sondern weltweit?
Weshalb sollte diese Kehrtwende nicht durch Ge- und Verbote unterstützt, geführt und beschleunigt werden?
Weshalb sollte nach bisher vollständigem Fehlen jeden Fortschritts aus humanitären oder ökologischen Gründen jetzt plötzlich eine bisher nie vorhandene Freiwilligkeit der Konzerne auftauchen?
Weshalb sollen wir warten, bis eine solche Freiwilligkeit zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte erscheint – und es dann noch viel mehr zu spät ist, als heute schon?
Eher teilt jemand das rote Meer, nachdem er es in Wein verwandelt hat.
Es zeigt sich wieder einmal:
Viel schadstoffhaltige heiße Luft und nichts dahinter!
Oder es ist Vorsatz – dann gilt hier wieder einmal Berthold Brecht:
»Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher!«
Viele Grüße
Detlef Jahn
Ein Gedanke zu „Replik auf »Gegen den Klimawandel helfen keine Schülerdemos«“