Feindbild Polizist?

interessant…

Da war ich mal drei Tage nicht da und schon beim ersten Blick ins Fratzenbuch ergibt sich ein Anlass für einen neuen Artikel.

Nach den ›Krawallen von Stuttgart‹ (In Stuttgart haben Hunderte in der Nacht vom 20. zum 21. Juni 2020 randaliert, Scheiben eingeschlagen und Geschäfte geplündert und sich teilweise heftige Auseinandersetzungen mit der Polizei geliefert.) wurde unter einem bei FB verlinkten Artikel zu diesem Ereignis über Polizeigewalt diskutiert, was ich hier aufgreife.

Ein Teil der besagten Diskussionen verlief an einer Stelle so:

»Ich warte jetzt auf die Vorwürfe wegen Polizeigewalt…«

Ich daraufhin:

»Naja… Auslöser soll ja eine Polizeikontrolle gewesen sein. Und Polizeigewalt war in letzter Zeit großes und lautes Thema… Da ist es für mich nicht verwunderlich, dass ein vermeintlich kleiner Funke, den Mob startet. Mich erstaunt eher, dass es fünf Stunden dauert, ihn unter Kontrolle zu bringen.«

Dazu wieder der Erste:

»Ja klar dauert das. Die Polizei wird sich hüten, die Idioten jetzt niederzuknüppeln, wie sich das gehört. Also lässt man den Mob sich austoben.«

Hierzu ein Dritter:

»›… die Idioten jetzt niederzuknüppeln, wie sich das gehört.‹ – Sach mal, gehts noch?«

Der Erste wieder:

»Oh ja, es geht. Wer randaliert und fremdes Eigentum beschädigt, darf sich nicht beschweren, wenn er einen Gummiknüppel übergezogen bekommt.«

Der Dritte:

»Ich bin gegen unsinnige Gewalt gleich aus welcher Ecke. Die Polizei hat die Pflicht, gegen solche hirnlosen Gewalttäter scharf durchzugreifen. ›Niederzuknüppeln‹ ist faschistoide Gewalt, die kein Deut besser ist, als ungehemmt-destruktive Gewalt seitens der ›Demonstranten‹.«

Wieder der Angesprochene:

»Quark ›faschistoide Gewalt‹. Ich möchte Dich mal sehen, wie du in Uniform mit Kollegen diesen hirnlosen Idioten gegenüberstehst. Du wirst beworfen, getreten, bespuckt und geschlagen. Und dann kommen Oberschlaue und sagen: ›Man muss dem Einhalt gebieten, aber bitte ohne Gewalt.‹ …?«

Soweit der relevante und interessantere Teil – der Rest der dortigen Besprechung ist dann hierfür weniger von Interesse und Bedeutung.
Ich habe dort ein klein wenig später dann mit folgendem Kommentar quasi den Anfang zu meinem Artikel hier geschrieben:

»Also, ich habe … schon ›richtig verstanden‹, wie er sein ›die Idioten jetzt niederzuknüppeln, wie sich das gehört‹ gemeint hat – nämlich genau nicht faschistoid, sondern ›dem Recht Recht verschaffen‹…«

Ein ›marodierender Mob‹ versteht nur den Knüppel.

Aber (ganz allgemein gemeint und ausdrücklich nicht auf die ›Krawalle von Stuttgart‹ bezogen):
Leider lassen sich auch Polizisten im Verlauf solcher… ›Umstände‹… von der Wollust der Macht hinreißen und prügeln blindwütig auf Alles und Jede/n ein, der/die/das sich bewegt.

Genau das darf jedoch nicht passieren – auch nicht ›in der Hitze des Gefechts‹: Solches Fehlverhalten ist unentschuldbar – ohne jedes ›Wenn‹ und ›Aber‹.

Und:
Die Polizei(gewalt) ist tatsächlich leider nicht dem Recht verpflichtet, sondern der Befehlskette.

Dadurch entstehen zuhauf Sitationen, die perverse Zustände aufzeigen und haben zur Folge, dass Polizisten beispielsweise Naziaufmärsche schützen müssen, weil diese ein Recht auf ihre Meinungsfreiheit haben.

Wir leben leider in einem System, dass der Ideologie folgt, dass der Mehrheitliche, der Stärkere, der Gerissenere oder schlechtenfalls der Lauteste den meisten und besten Schutz bekommt, weil er sich auf ein Grundrecht berufen kann – das im Zweifel ja auch sehr richtig und oft sehr notwendig ist.

In einem System, das beispielsweise den Gemeinwohlgedanken als grundlegende Ideologie verfolgen würde, wäre es möglich, dass (um dabei zu bleiben) ein Naziaufmarsch keinen Schutz bekäme, weil dieser eben dem Gemeinwohlgedanken nicht dienen will, sondern eher gegenüber dem Gemeinwohl feindselige Werte vertritt, die die gemeinwohlorientierte Gesellschaft nicht hinnehmen will und muss…

Eine dem Gemeinwohl verpflichtete Polizei könnte ein völlig neues Selbstbild von sich finden und dann hätten dort Menschen einen Vorteil, die tatsächlich helfen wollen und es hätten Menschen einen Nachteil, die  eigentlich nur darauf geil sind, ganz legal Anderen die Knochen zerdreschen und sie im Falle eines Falles übern Haufen schießen dürfen, ohne großartig Strafe befürchten zu müssen und die sich dann auch noch hinterm Korpsgeist verstecken können.

An anderer Stelle habe ich in ähnlicher Diskussion geschrieben:

Solange sich Vernunft, Menschlichkeit und Gerechtigkeit vom Korpsgeist beherrschen und unterdrücken lassen, besteht keine Hoffnung auf Besserung. Auch Unterlassung ist Mittäterschaft. Die Mitglieder der Polizeien und Armeen (ganz besonders bei den Freiwilligen-Einheiten) sind willfährige Gehilfen der Macht – leider mehrheitlich deren dunkler Seite.

So ist also der Blick auf den bösen Polizisten ein unzulässig verkürzter, weil ›das System‹ ja erst den bösen Polizisten möglich macht und bevorzugt oder ihn sogar erzeugt – zumindest scheinbar, aber leider oft auch ganz praktisch, wie wir immer und immer wieder erleben müssen – trotz aller heuchlerischen Lippenbekenntnisse aus der Entscheiderebene.

Vor allem muss ›Staatsgewalt‹ immer selektiv ausgeübt werden – auch während eines eskalativen Verlaufs muss die/der Unschuldige erkannt und verschont oder sogar aktiv geschützt werden.

Und mal ehrlich: Solange Polizisten jungen vorübereilenden Frauen hinterhältig ein Bein stellen, sind Polizisten völlig zu recht Feinde.

Weil jedoch ganzheitliche Betrachtungen ›draußen‹ und vor allem in den Schulen und Familien leider überhaupt nicht mehr stattfinden, geschweige denn in Vereinen oder Parteien, verroht unsere Gesellschaft und stumpft ab und geilt sich nur noch an ›Sensationen‹ auf. Die ›BILD‹ hat es uns auch genau so antrainiert – mit Vorsatz – und sie verschärft jede negative Situation und Stimmung, wo sie nur kann.

So gesehen, befinden sich Ischgl (also das übliche Verhalten der völlig verrückt gewordenen Partymeute dort), der aktuelle Schlachthofarbeiterskandal und das hier diskutierte Ereignis die selbe unschöne Seite der Medaille, die da heißt ›Kapitalismus‹ – es sind ganz normale und mit dessen Niedergang jetzt völlig aus dem Ruder laufende Folge- und Begleiterscheinungen des Systems, in dem wir leben.

Und eins noch – von der Systemkritik mal ganz abgesehen und völlig unabhängig von einer solchen:
An einen Polizisten lege ich deutlich strengere Maßstäbe eben wegen seiner ›Professionalität‹. Da lasse ich so infantile Ausreden, wie zum Beispiel ›Ich habe die Übersicht verloren.‹ nicht gelten – dann ist er ungeeignet und muss den Verkehr regeln…!

Ein Polizist darf sich nicht hinreißen- und gehenlassen – von diesem Anspruch rücke ich nicht ab.

Wer das nicht kann, ist ungeeignet und muss Bienen züchten oder Autobahnen mit weißen Strichen bemalen.

An der Hotelrezeption oder am Verkaufstresen darf die Kundin auch unter keinen Umständen unhöflich behandelt werden – bestimmt ja, bei Erfordernis, aber nie unhöflich. Wer es nicht schafft, seinen privaten Stress daheimzulasen oder seine persönliche Emotion für sich zu behalten, weil er sich ärgert, dass vorher schon vier dämliche Kunden da waren, darf das niemals den fünften Kunden spüren lassen – in diesem Punkt bin ich unnachgiebig. Das ist unprofessionell und dann darf die/derjenige nicht ›am Kunden arbeiten‹.

Da ist keine Ausnahme akzeptabel – das hat etwas mit gegenseitigem Respekt zu tun.

Und vor allem aufgrund der besonders hohen Verantwortung wegen der Vertretung und Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols sind diese Maßstäbe bei Polizisten noch um Einiges strenger anzusetzen.

Ich habe ja noch keine Polizeiausbildung ›genossen‹, aber nach meiner bescheidenen Meinung wird viel zu wenig die Frage gestellt, was bei der Ausbildung der zukünftigen und bei der Weiterbildung und dem Training der ›fertigen‹ Polizisten verbessert und vor allem geändert werden muss, um sie besser oder überhaupt erst zu befähigen, Gewalt tatsächlich und immer nur im unbedingt notwendigen Maße und nie gegenüber Unschuldigen oder wenigstens ›Ungefährlichen‹ anzuwenden.

Das wäre ja mal eine Aufgabe für die Polizeigewerkschaft – sich für eine bessere Ausbildung stark zu machen – vor allem eine menschenfreundliche – und sich nicht immer nur im Fernsehen wortgewandt schützend vor Polizisten zu stellen, die im Dienst Vollversager zeigen oder sogar vorsätzlich schwere Straftaten begehen.

Tumb gegen Polizeigewalt zu sein, ist leicht, aber leider meist völlig nutzlos und immer wenig zielführend.

Sehr viel besser und vor allem hilfreich wäre es erstens, wenn die Entscheider von den Menschen dahin gebracht würden, die Polizeiausbildung neu auszurichten.

Sinnvoller als bisher wäre zweitens eine Polizeigewerkschaft, die sich um die tatsächliche Verbesserung der Situation ihrer Polizisten einsetzt, anstatt (zumindest nach außen hin) nur immer damit beschäftigt zu sein, Missetäter aus irgendeiner Sache ›rauszuhauen‹.

Und wir brauchen drittens – nach englischem Vorbild – eine völlig polizeiunabhängige Kontrollinstanz, die auch gegenüber der Polizei eine starke Ermittlungsmacht sowie volle Zu- und Durchgriffsrechte besitzt und ausübt.

Zu guter Letzt muss viertens die Polizei als Organisation sehr viel mehr an ihrer Außenwahrnehmung arbeiten und das geht nur, wenn die Ausbildung völlig neu konzipiert und darauf ausgerichtet wird, dass die Polizei der Bevölkerung zu dienen hat und nicht, dass die Menschen blind gehorchen müssen. Aber hier landen wir wieder ganz schnell bei der Systemfrage…

Wie denkst du darüber?
Nutze bitte unten die kommentarfunktion – deine Meinung interessiert nicht nur mich, sondern auch die (stillen) Mitleser.

Viele Grüße
Detlef Jahn

Ein Gedanke zu „Feindbild Polizist?“

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