Weshalb die Gewerkschaften für ein (bedingungsloses) Grundeinkommen sein müss(t)en

Im Artikel »Replik auf Vater: Was steckt hinter dem bedingungslosen Grundeinkommen?« habe ich angekündigt, etwas zu Parteien und Gewerkschaften zu schreiben, was ich hiermit jetzt mit den Gewerkschaften fortsetze.

Wikipedia sagt unter https://de.wikipedia.org/wiki/Gewerkschaft:

Eine Gewerkschaft ist eine Vereinigung von in der Regel abhängig Beschäftigten zur Vertretung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Interessen.

Soweit, so gut.

Der Gewerkschaftsführer Bsirske schrieb in einem Artikel, auf den ich repliziert habe:

Gewerkschaften müssen einen realistischen Blick auf die Welt haben.

Richtig.

Und weil das so ist, bleibt den Gewerkschaften nur eine Richtung, nämlich einen starken Einsatz für

  • faire Arbeitsverträge,
  • gute Arbeitsbedingungen,
  • faire, angemessene und vor allem gerechte(re) Bezahlung,
  • freundlichen Umgang der Vorgesetzten mit Angestellten,
  • Einhaltung oder überhaupt erst Einrichtung von Arbeitsschutzmaßnahmen,
  • Unterstützung der Angestellten bei Streitigkeiten mit den Vorgesetzten und den Unternehmensleitungen…

Die Einführung eines bGE’s ist auch im Interesse der Gewerkschaften, weil das bei der Durchsetzung der obigen Punkte hilft, weil

  • mehr Menschen »den Kopf frei haben«, sich gewerkschaftlich oder auch anderweitig gesellschaftlich und politisch zu betätigen,
  • mehr Menschen ihre Rechte einfordern, weil sie keine Existenzangst mehr haben,
  • mehr Menschen als heute mehr Bildungsmöglichkeiten als heute wahrnehmen,

weil sie nicht auf Erwerbsarbeitseinkommen zwingend angewiesen sind.

Wenn die Gewerkschaften nicht erkennen (wollen), dass sie auch in Zukunft (mit einem bGE) wichtig sein können sind, werden die Menschen merken, dass die Gewerkschaften, wie die Parteien auch, gar kein Interesse an der Lösung von Sachfragen haben, sondern nur Klüngelvereine sind, die einigen Machtgierigen als Plattform dienen.

Und wenn die Menschen das erkennen, werden die Gewerkschaften sich selbst überflüssig gemacht haben. Aber eben nicht, weil die wichtigen Sachfragen geklärt sind, sondern weil sie von den Menschen wegen Schmarotzertum zum Teufel gejagt werden.

Denn Gewerkschaften, die nur um ihrer selbst willen existieren, sind nichts weiter als Parasiten, die vom sauer erschufteten Geld der arbeitenden Bevölkerung leben – genau, wie die Parteien.

An anderer Stelle habe ich folgende Frage beantwortet:

Frage/Meinung:
Ich sehe das (bedingungslose) Grundeinkommen (bGE) als kapitalistische Falle. Diejenigen, die nicht mit den Entwicklungen mithalten können, werden abgespeist. Es würde zu einer neuen Klassengesellschaft führen. Wozu noch Interessenvertretungen, Interessensausgleich? Wer nicht mitkommt, kann billig entsorgt werden. Das Märchen von der Freiheit und den Kulturschaffenden, sollen das die glauben, die in ihren Wohnblöcken am Rande der Großstädte sitzen? Die Gefahr der Entsolidarisierung der ›Arbeitenden‹ mit den Empfänger des BGE ist groß.

Antwort (hier erweitert):
Tatsache ist, dass es Menschen gibt, die aufgrund vielfältiger Ursachen nicht in der Lage sind, ihre Interessen selbst angemessen zu vertreten (Behinderung, Krankheit, schlechte Erfahrungen in der Vergangenheit, schwach ausgeprägtes Selbstbewusstsein, fehlende Kenntnisse…).

Deshalb muss es auch mit einem bGE unbedingt weiterhin Schutzmaßnahmen für die Schwachen geben. Das können u. a. sein

  • Mindestlohn (zumindest unter gewissen Voraussetzungen, z. B. ab einer gewissen Betriebsgröße),
  • Gewerkschaften und Betriebsräte,
  • Diskriminierungsverbote,
  • Arbeitsschutznormen,

die es ja alle mehr oder weniger auch heute schon gibt.

Das bGE ist kein Grund, diese Schutzvorrichtungen zu entfernen. Und ich kenne auch keinen glaubwürdigen bGE-Vorschlag, wo vorgesehen ist, diese zu entfernen.

Auch unter Optimalbedingungen wird es immer Situationen geben, wo Schäden eintreten können. Solchen möglichen Schäden muss vorgebeugt werden, soweit das vorhersehbar und machbar ist.

Ein Element solchen Schutzes sind die Gewerkschaften.

Im Idealzustand einer friedvollen Kooperationsgesellschaft kann irgendwann einmal auf solchen Schutz möglicherweise verzichtet werden, aber davon kann in absehbarer Zeit keine Rede sein.

Solange wir in einer Welt leben, die durch Geld bestimmt und vom Zins angetrieben ist, sind Gesetze zwingend nötig, die die Schwachen vor den Starken schützen. Es sei denn, wir entscheiden uns offen für Barbarei und laufen alle wieder mit Messer und Keule herum.

Ein bGE ändert daran erst einmal gar nichts.

›Das Märchen von der Freiheit und den Kulturschaffenden‹ ist zuerst einmal nur im eigenen Kopf ein Märchen.

Wie ich früheren Artikeln schon geschrieben habe, wird das (bedingungslose) Grundeinkommen (bGE) die für die Existenz und Teilhabe notwendigen Aufwendungen decken, wenn es nach der Definition und in der Höhe ausreichend angesetzt wird.

Und wenn nun Jede/r seinen notwendigen Bedarf nicht durch erzwungene, bezahlte Erwerbsarbeit beschaffen muss, ist er/sie tatsächlich frei, denn er/sie kann ohne Existenzangst entscheiden, was er/sie tun will. Er/Sie kann nicht mehr gezwungen werden, sich im wahrsten Sinne des Wortes um jeden Preis zu verkaufen, um den Profit von Anderen zu mehren.

Denn der Zwang erwächst aus dem Dogma »Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!«
Dieses Dogma beruht auf einer Verkürzung und einer Fehlinterpretation eines Bibelzitates:

Wir gebieten euch aber, liebe Brüder, im Namen unseres Herrn Jesus Christus, dass ihr euch zurückzieht von jedem Bruder, der unordentlich lebt und nicht nach der Lehre, die ihr von uns empfangen habt.
Denn ihr wisst, wie ihr uns nachfolgen sollt. Denn wir haben nicht unordentlich bei euch gelebt, haben auch nicht umsonst Brot von jemandem genommen, sondern mit Mühe und Plage haben wir Tag und Nacht gearbeitet, um keinem von euch zur Last zu fallen.
Nicht, dass wir dazu nicht das Recht hätten, sondern wir wollten uns selbst euch zum Vorbild geben, damit ihr uns nachfolgt.
Denn schon als wir bei euch waren, geboten wir euch: Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen. Denn wir hören, dass einige unter euch unordentlich leben und nichts arbeiten, sondern unnütze Dinge treiben.
Solchen aber gebieten wir und ermahnen sie in dem Herrn Jesus Christus, dass sie still ihrer Arbeit nachgehen und ihr eigenes Brot essen.
Ihr aber, liebe Brüder, lasst’s euch nicht verdrießen, Gutes zu tun.
Wenn aber jemand unserm Wort in diesem Brief nicht gehorsam ist, den merkt euch und habt nichts mit ihm zu schaffen, damit er schamrot werde. Doch haltet ihn nicht für einen Feind, sondern weist ihn zurecht als einen Bruder.
(aus dem Brief 2 des Paulus an die Thessalonicher; Lutherbibel Übersetzung 1984; http://www.bibleserver.com/text/LUT/2.Thessalonicher3)

Gemeint ist hier eigentlich die Vorbildwirkung, die Glaubensbrüder zeigen sollen, und auch, dass zwar ermahnt werden solle, aber gemieden und nicht als Feind bekämpft oder unterdrückt. Ausdrücklich genannt ist hier der Bezug auf die Glaubensgemeinschaft, wie an vielen Bibelstellen, und nicht die Umfassung aller Menschen.

Paulus hat nicht gefordert, die Verweigerer (ver)hungern zu lassen, sondern dass seine Anhänger Vorbild sein sollen.

Wenn wir uns zuerst im eigenen Kopf vom Fehlurteil »Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.« befreien, können wir dem Anderen ein bGE zugestehen.

Wenn es ein bGE nach Definition gibt, dann ist ›Das Märchen von der Freiheit und den Kulturschaffenden‹ kein Märchen mehr.

Um das zu zeigen und verständlich zu machen und damit andere Befürworter besser argumentieren lernen können und damit hoffentlich auch die, ›die in ihren Wohnblöcken am Rande der Großstädte sitzen‹, verstehen lernen, was ein bGE ermöglichen kann, schreibe ich diese Blogbeiträge.

Die Nettozahler werden sich mit den Nettoempfängern und die Menschen, die bezahlter Erwerbsarbeit nachgehen, werden sich mit denen solidarisieren können, die andere, unbezahlte Arbeit erledigen, wenn sie verstehen, dass sie mehr gewinnen, als sie zu verlieren befürchten.

Wenn wir bGE-Befürworter gut erklären, weshalb das bGE allen Menschen Vorteile bringt und dass wir alle Nachteile haben, wenn wir so weitermachen, wie zurzeit, werden alle miteinander solidarisch sein können.

Wenn das ein Irrtum sein sollte, wäre die Arbeit diesen Blog zu schreiben und die Aktivitäten aller anderen bGE-Befürworter umsonst. Das kann und will ich nicht glauben.

Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch mein Apfelbäumchen pflanzen.
(Stammt der Spruch vom Apfelbäumchen gar nicht von Luther?)

Die Gewerkschaften sollten sich auf Ihre Kernaufgabe besinnen und »ihre Arbeit« machen, für die sie geschaffen wurden.

Diese Aufgabe bleibt unbeschränkt erhalten, wenn es ein Grundeinkommen gibt.

Sogar im Gegenteil:
Gerade dann, mit einem (bedingungslosen) Grundeinkommen können die Gewerkschaften mit verstärktem Zulauf rechnen und ihre Aufgabe stärker leisten, als je zuvor,

  • weil die Menschen mehr oder überhaupt zum ersten Mal Zeit und Energie für eine bessere Zukunft aufwenden können,
  • weil sie nicht mehr vom zermürbenden Arbeitszwang kleingehalten und ausgelaugt werden und
  • weil sie wieder sehen und verstehen lernen, wofür es sich zu kämpfen lohnt und womit wir nur unseren Untergang beschleunigen.

Viele Grüße
Detlef Jahn

Ein Gedanke zu „Weshalb die Gewerkschaften für ein (bedingungsloses) Grundeinkommen sein müss(t)en“

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