Sehr geehrter Herr Martin Matzat,
herzlichen Dank, dass Sie sich zum bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) geäußert haben. Das gibt mir Gelegenheit und ist mir Bedürfnis, darauf zu replizieren. Ich werde mich auf folgende Veröffentlichung vom 30.3.2018 beziehen: http://martinmatzat.com/tiefgruendigere-argumente-gegen-bedingungsloses-grundeinkommen/.
»#1 Argument gegen bedingungsloses Grundeinkommen
98% der BGE-Konzepte sind staatsunkritisch!«
Man kann das so sehen wollen, muss man aber nicht.
Viele Erläuterungen und Konzepte eines Grundeinkommens enthalten sehr wohl Kritik am aktuellen System – meist am Wirtschaftssystem, weniger am Staatssystem. Das muss man erst einmal ganz zu Beginn vom Kopf auf die Füße stellen. Das Wirtschaftssystem bringt das Staatssystem hervor, nicht umgekehrt. Die Art des Wirtschaftens entscheidet darüber, welche Art Regelungen für das Funktionieren einer Gesellschaft getroffen werden.
Schon sehr lange bevor es »Staat« gab, wurde »gewirtschaftet«.
Hier bereits könnte man die zu besprechende Kritik am Grundeinkommen als unqualifiziert abtun, aber es kommen noch wichtige Details, die nicht unbeantwortet bleiben dürfen.
»Da die Idee des Grundeinkommens soziale Probleme beheben und damit die Gesellschaft verändern möchte, muß jedes BGE-Modell im Sinne der Nachhaltigkeit darüber intensiv nachgedacht haben, wie die sozialen Verwerfungen unserer Zeit entstanden sind und wer oder was unsere Gesellschaft formt.«
Nein.
Das Grundeinkommen soll eine Ermöglichung sein, eine Befreiung vom Zwang zur bezahlten Erwerbsarbeit zum Erwerb des Lebensunterhaltes.
Die Rechte auf Leben, auf körperliche Unversehrtheit und auf freie Entfaltung der Persönlichkeit werden erst real, wenn der Mensch nicht gezwungen wird, sich in Unterwerfung unter den Willen anderer Menschen durch eine – wie auch immer geartete – Leistung diese Rechte erwerben zu müssen. Er besitzt diese Rechte bereits durch seine Geburt.
Wohlgemerkt: es ist zu unterscheiden zwischen der Unterwerfung unter den Willen anderer und der freien Artbeit, die selbstverständlich nötig ist, sich Nahrung, Kleidung und Obdach zu beschaffen. Das bestreitet auch kein (mir bekannter) Grundeinkommensbefürworter und kein Konzept, das ein Grundeinkommen beschreibt.
Jedes Lebewesen muss Arbeit/Leistung erbringen, um Nahrung zu haben. Aber der Mensch ist die einzige Art, bei der ein Individuum ein anderes unterwirft, um sich selbst von diesem einen Wert schaffen zu lassen, den es ihm aber vorenthält oder wenigstens unter Bedingungen stellt.
Ja, es ist richtig: Man muss wissen, was die Ursachen für Probleme sind, damit man diese lösen und beseitigen kann.
Nein, es ist nicht richtig, dass die Lösung der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, ökologischen oder rechtlichen Probleme unserer Zeit eine Voraussetzung wären für ein Grundeinkommen oder umgekehrt, dass ein Grundeinkommen eine Lösung für diese Probleme sei. Und das war auch nie die Idee eines solchen. Das ist nämlich nur ein immer wieder von den Gegnern vorgetragenes Scheinargument, das keiner ernsthaften Prüfung standhält.
Ein Grundeinkommen löst aus sich selbst heraus kein einziges gesellschaftliches, wirtschaftliches, ökologisches oder rechtliches Problem.
Ein Grundeinkommen soll die Menschen befreien – im wahrsten Sinne des Wortes.
Dann können die Menschen darüber nachdenken, wie sie künftig leben wollen, wie vorhandene Probleme beseitigt und kommende vermieden werden können – weil sie dafür jetzt frei (im Kopf) sind.
Das ist der alte Kampf, was zuerst nötig ist: das Bewusstsein, wie mit einer Veränderung umzugehen sei oder die Veränderung selbst, damit dann in der Praxis gelernt werden kann, was diese Veränderung möglich machen könnte. Und immer wieder die Lüge, dass ohne das »richtige« Bewusstsein eine Veränderung immer zum Scheitern verurteilt sei oder zumindest großen Schaden anrichten würde.
Dazu fällt mir ein:
»Alle sagten: »Das geht nicht.«
Dann kam einer, der das nicht wusste, und hat es einfach gemacht.«
»Sofern es die Grundeinkommensbewegung versäumt sich dabei mit der Rolle des Staates intensiver auseinander zu setzen und dem gegenwärtigen Staatskonstrukt aus naivem Selbstverständnis stattdessen sofort die Organisation und Verteilung eines Grundeinkommens überläßt, dann stellt sich die Frage wie nachhaltig ein jedes Grundeinkommens-Modell für unsere Gesellschaft wirklich ist.«
Hier hätten Sie, lieber Herr Matzat, gleich beantworten sollen, weshalb das nicht »nachhaltig« sein soll – jedenfalls wollen Sie uns das ja glauben machen. Also: Wo ist die Begründung zur Behauptung?
Die gesellschaftlich-politische Nachhaltigkeit zeigt sich nicht im Grundeinkommen selbst, sondern in dem, was die Menschen damit anfangen werden.
Das kann man also nicht vorhersehen, denn:
»Prognosen sind schwierig, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen.«
(wechselnde Zuschreibungen: Niels Bohr, Mark Twain oder Karl Valentin)
Nachhaltigkeit, im Sinne von wirtschaftlicher Dauerhaftigkeit, ist nur eine Frage der finanziellen Umsetzung. Da führen erstens viele Wege nach Rom und zweitens kann man da jederzeit eingreifen und nachjustieren. Das ist keine Frage, deren Antwort im Grundeinkommen selbst liegt, sondern lediglich in dessen organisatorischer Realisierung.
Auf welche Weise das Funktionieren der Gesellschaft geregelt wird (»Staat«), ist dafür egal. Man kann in jeder Staats- und Gesellschaftsform ein Grundeinkommen realisieren.
Es ist auch egal, ob ein Grundeinkommen »von unten« oder »von oben« kommt – die Ausgestaltung ist entscheidend.
»#2 Argument gegen bedingungsloses Grundeinkommen
Staatsunkritische Grundeinkommenskonzepte betrachten den Menschen nicht als Ganzes!«
Auch diesem Totschlagargument muss ich entschieden widersprechen.
Gerade, weil »der Mensch als Ganzes« betrachtet werden muss und er eben nicht nur ein »Produktionsfaktor« ist, dient ein Grundeinkommen seiner Entfaltung als Ganzem.
»Wie kann jemand, der vollkommen staatsunkritisch ist, jemals das Für und Wider eines Staates auch nur ansatzweise erfassen?«
Weshalb sollte das für ein Grundeinkommen relevant sein?
Und wodurch qualifiziert sich diese Frage zum Argument gegen ein Grundeinkommen?
Weil ein Grundeinkommen nur verdient hat, wer eine bestimmte Intelligenz besitzt?
Ein gefährlicher Gedankengang…
Die Intelligenten mit einem moralisch-ethisch positiven Menschenbild werden sich mit gesellschaftlichen Fragen befassen und gute Lösungen finden. Die Einfältigen werden ihr Grundeinkommen verfressen. Und die Intelligenten mit schlechten Absichten (wahlweise: die Mächtigen) werden die Einfältigen weiter verführen, wie sie es heute bereits tun.
Aber heute – ohne Grundeinkommen – haben die Intelligenten mit guten Absichten keine oder zu schwache Möglichkeiten, ihre guten Absichten umzusetzen. Das ist der wahre Grund, weshalb die Unterdrücker und Ausbeuter sich so vehement dagegen wehren.
»Wie kann man die Gesellschaft verstehen, wenn schon der Staat als „Formgeber gesellschaftlicher Entwicklungen“ nicht erfasst wird?«
Für sich gesehen, auch eine berechtigte Frage, aber weshalb sollte das für ein Grundeinkommen relevant sein?
Und auch hier wieder: Wodurch qualifiziert sich diese Frage zum Argument gegen ein Grundeinkommen?
»Und wie kann man den Menschen wirklich verstehen, wenn man ihn nicht in Beziehung zur Gesellschaft setzen kann, weil schon das eigene Gesellschaftsbild durch die fehlende Staatskritik verzerrt ist?«
Hier ebenfalls: Was hat diese Frage mit einem Grundeinkommen zu tun?
Wodurch qualifiziert sich diese Frage zum Argument gegen ein Grundeinkommen?
Wofür soll hier ein Grundeinkommen verantwortlich sein oder welches sind die gegenseitigen oder gar notwendigen Abhängigkeiten zwischen dieser Frage und einem Grundeinkommen?
»Betrachtet beispielsweise die staatlich organisierte Schulbildung den Menschen als Ganzes oder liegt diesem Bildungs- und Erziehungskonzept ein ausschließlich materialistisches Weltbild zu Grunde?
Wenn die staatlich organisierte Schulbildung materialistisch geprägt ist, welche Denkweise erhalten dann sehr wahrscheinlich jene Menschen, die jenes „Bildungssystem“ durchlaufen haben?
Wenn uns demzufolge „materialistische Gedankengänge eingepflanzt“ wurden und wir gestalten uns in unserem von Materialismus geprägten Denken ein Grundeinkommen, welches auf Grund von materialistischen(?) Motiven verwirklicht werden soll, wohin wird unser aller Reise dann wohl gehen?Je länger ich über diese Fragen nachdenke, desto schwerer fällt es mir zu glauben, daß sich die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens deshalb für das BGE so stark machen, weil es ihnen um mehr Nächstenliebe und mehr Empathie innerhalb unserer Gesellschaft geht.
Es geht ihnen um etwas anderes…«
Wenn diese Fragen als Argumentrichtung gegen ein Grundeinkommen dienen sollen, hilft es nicht, sie in den Raum zu werfen, sondern man muss dann schon mal den Versuch starten, den Bezug zum Grundeinkommen auch zu zeigen und zu begründen.
Das mögen sinnvolle Fragen sein. Ohne jeden Zusammenhang schweben sie jedoch ziemlich verloren und sinnfrei im luftleeren Raum herum.
Ein (selbsternannter?) Philosoph muss schon mehr liefern, als nur leer vor sich hin geworfene Fragen. Er sollte auch Stellung beziehen und eine konkrete Meinung haben. Und gerade diese verstecken Sie hier hinter den drei kleinen Pünktchen…
Aber sehen wir weiter.
»#3 Argument gegen bedingungsloses Grundeinkommen
Die Doppelmoral am Beispiel der GEZ!«
Schon die Formulierung zeigt, wohin die Reise geht und in welcher Ecke der Herr Philosoph sich verortet.
»In den meisten BGE-Konzepten ist eine Finanzierung über Steuern vorgesehen.
An dieser Stelle werden einige Menschen also dazu „in die Pflicht genommen“ in diesen „solidarischen Topf“ einzuzahlen.
Daß nun nicht jeder Mensch in diesen Topf einzahlen möchte, weil er über solcherlei Steuerabgaben mehr abzugeben hätte als er unter Umständen wieder zurückbekäme, ist nachvollziehbar.
[…]
Hier zeigt sich eine Tendenz, daß Menschen auf „Nötigung zur Solidarität“ zunehmend allergisch reagieren.
Und diese Tendenz zeigt sich auch bei der GEZ-Thematik, bei welcher die Verantwortlichen der Staatsmedien als auch die Befürworter der GEZ-Gebühr immer wieder gerne behaupten es sei asozial und unsoldiarisch die GEZ-Gebühr nicht zu bezahlen.«
So ist das mit Steuern meistens. Sie werden nicht gern gezahlt, weil man empfindet, etwas würde einem weggenommen.
Aber irgendwo habe ich die intelligente Feststellung gehört/gelesen (ich glaube, bei Precht), dass es eine Frage der Argumentation ist, eine Frage der gewählten Begrifflichkeit. Es ist nämlich leider so, dass wir mit kriegerisch-aggressiven Argumenten hantieren und nicht mit positiv-gemeinschaftlich-solidarischen. Wir sehen deshalb nicht, dass Abgaben (zumindest dem Sinn nach) dazu dienen (sollen), Dinge zu finanzieren, von denen alle profitieren (Straßen z. B. oder Infrastruktur zur Wasser- und Energieversorgung).
Es ist nicht relevant, ob Einzelne diese aktiv nutzen oder nicht. Viele haben kein Auto und tragen dennoch zur Finanzierung von Straßen bei.
Hier also die GEZ als Beispiel heranzuziehen, dient nur der Stimmungsmache und enthält kein stichhaltiges Argument gegen ein Grundeinkommen an sich.
Zuerst sollten wir also mit der verwendeten Sprache aufräumen, bevor wir die Inhalte in Frage stellen. Dazu eine sehr gut passende Anekdote:
»(Der Schüler) Zi-lu sprach zu Konfuzius: »Wenn Euch der Herrscher des Staates Wei die Regierung anvertraute – was würdet Ihr zuerst tun?« Der Meister antwortete: »Unbedingt die Worte richtigstellen.« Darauf Zi-lu: »Damit würdet Ihr beginnen? Das ist doch abwegig. Warum eine solche Richtigstellung der Worte?« Der Meister entgegnete: »Wie ungebildet du doch bist, Zi-lu! Der Edle ist vorsichtig und zurückhaltend, wenn es um Dinge geht, die er nicht kennt. Stimmen die Worte und Begriffe nicht, so ist die Sprache konfus. Ist die Sprache konfus, so entstehen Unordnung und Mißerfolg. Gibt es Unordnung und Mißerfolg, so geraten Anstand und gute Sitten in Verfall. Sind Anstand und gute Sitten in Frage gestellt, so gibt es keine gerechten Strafen mehr. Gibt es keine gerechten Strafen mehr, so weiß das Volk nicht, was es tun und was es lassen soll. Darum muß der Edle die Begriffe und Namen korrekt benutzen und auch richtig danach handlen können. Er geht mit seinen Worten niemals leichtfertig um.«
(Konfuzius (551-479 v.Chr.), chin. Philosoph, bestimmend für die Gesellschafts- u. Sozialordnung Chinas) http://www.zitate.de/db/ergebnisse.php?sz=4&stichwort=&kategorie=&autor=Konfuzius
»Wenn wir bereit sind nun die Perspektive zu wechseln, dann ist die Rundfunkgebühr eine Grundeinkommensabgabe für jene Menschen, die bei ARD, ZDF & Co arbeiten oder auch gearbeitet haben.
[…]
Es gibt aber auch Menschen, die in den Staatsmedien keinen Mehrwert sehen und deshalb womöglich gar keinen Fernseher haben und auch kein Radio hören, weil ihnen die „Propaganda und Kriegstreiberei“ sprichwörtlich auf den Keks geht.
Diese Menschen haben gar nichts von der „GEZ-Grundeinkommensabgabe“.
Sie sollen Geld geben für etwas, was nach ihrem Empfinden sogar kontraproduktiv ist.
Über 5 Millionen Menschen verweigern mittlerweile die Abgabe des Rundfunkbeitrags – Tendenz weiter steigend.
Hier zeigt sich also eine Parallele zu den gerade erwähnten Steuervermeidungstendenzen.«
Nein.
Hier zeigt sich nackte Werbung für eine Propagandarichtung, die mit einem Grundeinkommen nun rein gar nichts zu tun hat und deshalb den gesamten Artikel und damit auch den Herrn Philosophen vollkommen disqualifiziert.
Als Leser muss man höllisch achtgeben, dass einem der vom Monitor triefende Geifer nicht den Schreibtisch versaut.
Und wenn man die Verweisziele des Herrn Philosophen besucht, stellt man sehr schnell fest, aus welcher Ecke hier das Geschrei ertönt.
Das ist einfach nur schlimm, wie dort argumentiert wird und ich distanziere mich ausdrücklich von diesen Argumentationsrichtungen.
Übrigens finde ich sehr interessant, wie schwach die Verfechter dieser Propaganda in ihrer eigenen Muttersprache sind. Bevor sie sich also der Staatskritik allgemein und der Bildungskritik im Besonderen widmen, sollten sich diese Leute vielleicht dem Studium der eigenen Sprache zuwenden. Das wäre sinvoll genutzte Zeit.
Das mit der Statistik kommentiere ich nicht detailliert, weil ich den Bezug zwischen Fragestellung GEZ und Grundeinkommen(sfinanzierung) schon beantwortet habe.
Um dennoch inhaltlich die GEZ-Frage kurz zu behandeln, nur soviel: Die GEZ-Gegner übersehen geflissentlich, dass die privat finanzierten Medien noch viel subjektiver arbeiten, als die staatlichen und dass eine Abschaffung/Einschränkung der staatlichen Medien eine grundsätzliche Informationsverschlechterung bedeuten würde.
Wenn man sich sinnvoll einsetzen will, muss man sich für wirklich freie Medien einsetzen, denn private sind keine freien Medien, sondern immer interessengesteuert.
Öffentlich-rechtliche Medien sind dann frei, wenn die Regeln, nach denen sie arbeiten, dies erlauben.
Man muss also die Regeln prüfen und ggf. ändern, nach denen die statlichen Medien arbeiten und nicht die Medien selbst grundsätzlich in Frge stellen oder gar abschaffen wollen.
Die Geiferer verwechseln hier nämlich ganz grundsätzlich Ursache und Wirkung. Ob beabsichtigt oder aus Unterqualifizierung, vermag ich nicht zu beurteilen. Spielt für mich und für Fragen rund ums Grundeinkommen auch keine Rolle.
Die erste Bedingung für bessere Informationsqualität wäre eine grundsätzliche räumliche Trennung von Werbung und redaktionellem Inhalt (also auch nicht nebeneinander auf der selben Seite) und eine unübersehbare Kennzeichnung von jeder Art Werbung und allen nichtredaktionellen Inhalten.
Ich ganz persönlich wäre sogar für ein grundsätzliches Werbeverbot innerhalb redaktioneller oder künstlerischer Medien/Beiträge, also z. B. auch innerhalb von Sendungen im Fernsehen.
Und die Leser sollten in voller Höhe das bezahlen, was es auch tatsächlich kostet – keinerlei Subventionen von privaten Medien aller Art. Dann erst würde sich zeigen, was für die Leser tatsächlich interessant und relevant ist.
Deshalb gibt es auf meinem Blog auch keine Werbung gegen Bezahlung.
Oder, noch besser: Man sieht »Information« als Teil von »Bildung«, dann sollte sie grundsätzlich kostenlos verfügbar sein. In diesem Punkt sähe ich dann einen Grund für eine GEZ-Abschaffung. Aber nicht aus den Gründen, die hier propagiert werden.
Der Autor des hier besprochenen Artikels könnte bei sich anfangen und die penetrante pop-up-Werbung für den Krypto-Währungs-… ähm… Artikel auf leserfreundlichere Art und Weise umsetzen. So erweckt er den Eindruck, es gehe gar nicht um (positive) Wissensvermittlung – von »Aufklärung« will ich da gar nicht reden… – sondern nur um Profitmacherei oder noch primitiver: um Sensationsgier.
»#4 Argument gegen bedingungsloses Grundeinkommen
Das bedingungslose Grundeinkommen ist nicht mit der sozialen Dreigliederung von Rudolf Steiner vereinbar!
[…]
Schnell über die soziale Dreigliederung rübergeflogen sieht man, daß im Rechtsleben das Prinzip der Gleichheit, im Wirtschaftsleben das Prinzip der Brüderlichkeit und im Geistesleben das Prinzip der Freiheit gelebt werden sollte.
Da sich das bedingungslose Grundeinkommen als einen sozialen Akt in unserer Gesellschaft verstehen will, ist es naheliegend, daß dann sogleich die Querverbindung zum wirtschaftlichen Prinzip der Brüderlichkeit gesehen wird.
Diese Betrachtungsweise hat jedoch mehrere Haken:
Ein sehr großer Haken ist, daß sich das Staatswesen aus sämtlichen Prozessen innerhalb der Wirtschaft herauszuhalten hat – genauso wie der Staat sich nicht in die Bildung unserer Kinder einzumischen hat.«
Dieser Sichtweise kann man folgen oder auch nicht. Ich sehe das völlig anders, aber das ist hier nicht das Thema – auch, wenn der Schreiber uns das einzureden versucht.
Die Wahrheit ist: Das Grundeinkommen als solches hat aus sich selbst heraus gar keinen Einfluss auf das Wirtschaftssystem.
In jeder Art Wirtschaftssystem kann es ein Grundeinkommen geben. Ebenso, wie es in jeder Art Gesellschafts- und Politiksystem existieren kann.
Das Grundeinkommen ist kein Merkmal einer bestimmten Wirtschafts-, Gesellschafts- oder Politikform.
Die aufgeworfene Frage hat also mit der Frage einer Sinnhaftigkeit oder der Machbarkeit eines Grundeinkommens gar nichts zu tun – so berechtigt und sinnvoll sie sonst auch sein mag.
»Die Wirtschaft hat sich selbst zu finden und muß in diesem ganzen Prozeß auch ausloten welche Tauschprozesse und welche Zahlungsmittel im Sinne der Brüderlichkeit zuträglich sind.
D.h., daß sehr wahrscheinlich mehrere verschiedene Gelder und Geldsysteme nebeneinander existieren.
Mit einem staatlich organisierten Grundeinkommen, was in einem bestimmten Geld ausgezahlt wird, beeinflußt der Staat jedoch den wirtschaftlichen Selbstfindungsprozeß für ein Geldsystem im Sinne der Brüderlichkeit.
Es suggeriert nämlich welches Geld „besser“ ist als andere – das ist eine Beeinflussung, die wir zur Verdeutlichung auch gerne Manipulation nennen können.«
Nö.
»Der Staat« als Instanz, die das Funktionieren einer Gesellschaft gewährleisten soll, legt lediglich die Regeln fest, nach denen die Gesellschaft organisiert wird.
»(Anmerkung: Ein „gesetzliches Zahlungsmittel“ ist eine Manipulation für ein bestimmtes und gegen andere Geldsysteme!)«
Nö.
Der Staat legt fest, welche Regeln gelten und damit auch, welches Geld.
Ob diese Regeln gut sind oder ob man nun innerhalb einer Gesellschaft oder eines (National)Staates regional unterschiedliche Währungen braucht und inwiefern diese sinnvoll sind oder gerade nicht, ist eine Frage, die trefflich diskutiert werden kann, aber mit der Frage eines Grundeinkommens nichts zu tun hat.
Jede Geldform kann existieren, ohne dass es ein Grundeinkommen gibt und jedes Grundeinkommen kann in jeder Geldform realisiert werden. Beides hängt nicht voneinander ab.
Das gültige Geld ist eine verbindliche Festlegung, um ein vernüftiges und reibungsarmes Wirtschaften überhaupt erst zu ermöglichen.
Ob man nun in kleinsten regionalen Einheiten, vielleicht gar noch thematisch getrennte oder technisch unterschiedliche Formen von Geld braucht oder ob nicht vielleicht eine ganz global einheitliche Währung auf dem Weg zur völligen Abschaffung des Geldes die bessere Lösung sein könnte, hat ebenfalls nichts mit einem Grundeinkommen zu tun. Beides kann ohne die Notwendigkeit des Anderen gehandhabt und diskutiert werden.
»Wenn sich das bedingungslose Grundeinkommen wirklich als ein Akt der Brüderlichkeit versteht, dann muß das Grundeinkommen aus der Wirtschaft selbst kommen – nicht von einem Staat und nicht durch irgendwelche herbeigeführten politischen Entscheidungen!«
Nö.
Man kann das so sehen wollen, muss man aber nicht. Ich sehe es nicht so.
Woher das Geld für ein Grundeinkommen letztlich kommt, ist völlig egal. Entscheidend ist, dass es bestimmte Kriterien erfüllt:
»Ein Grundeinkommen ist eine Lebensgrundlage, die eine gesellschaftliche Gemeinschaft jedem ihrer Mitglieder vorbehaltlos gewährt. Es soll
- als individueller und dauerhaft garantierter Rechtsanspruch
- die Existenz sichern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen sowie
- ohne Bedürftigkeitsprüfung,
- ohne Zwang zu Arbeit oder anderen Gegenleistungen und
- unabhängig von anderen Einkommensarten
- unbefristet in regelmäßigen Abständen
- zur freien Verfügung in aktuell gültiger gesetzlicher Währung
ausgezahlt werden.
Wenn jemand aufgrund von Krankheit, Behinderung oder einer anderen besonderen Situation einen notwendigen zusätzlichen Bedarf hat, der über das allgemeine Grundeinkommen hinausgeht, muss dieser individuelle Mehrbedarf als Sozialleistung gewährt werden – dann aber nur auf Antrag und mit Nachweis der Notwendigkeit.«
»Fazit
Das gegenwärtige Niveau der Grundeinkommensdebatte offenbart eine gewisse Schizophrenie.«
Die Wikipedia sagt zum Thema (https://de.wikipedia.org/wiki/Schizophrenie):
»Als Schizophrenie wird eine Gruppe schwerer psychischer Krankheitsbilder mit ähnlichem Symptommuster bezeichnet.
Im akuten Krankheitsstadium treten bei schizophrenen Menschen eine Vielzahl charakteristischer Störungen auf, die fast alle Bereiche der Psyche betreffen: die Wahrnehmung, das Denken, die Ichfunktionen, den Willen, das Gefühls- und Gemütsleben, den Antrieb und die Psychomotorik.
Häufig werden nicht wirklich vorhandene Stimmen gehört (sogenanntes Stimmenhören). Es kann der Wahn auftreten, verfolgt, ausspioniert oder kontrolliert zu werden. Weiter kann es zu Gedankenlautwerden, Gedankenentzug oder zu Gedankeneingebung kommen. Anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität sind möglich. Auch sozialer Rückzug, Antriebslosigkeit und mangelnde Motivation, emotionale Verflachung und Freudlosigkeit sind oft zu beobachten. Je nach vorherrschenden Symptomen werden mehrere Subtypen der Schizophrenie unterschieden.«
Hm… was will uns der Autor also damit sagen?
Sind die Befürworter eines Grundeinkommens schizophren, weil sie ein Grundeinkommen befürworten?
Bewirkt ein Grundeinkommen Schizophrenie bei den Empfängern?
Können nur Schizophrene das Grundeinkommen denken?
»Ein Beispiel an Hand von #4:
Die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens wissen sehr wohl, daß viele soziale Verwerfungen unserer Zeit u.a. auch durch Korruption zustande kommen.«
Ja, wahrscheinlich wissen sie, dass das so ist – die meisten jedenfalls.
Und – was machen wir jetzt mit dieser Information?
»Unter Korruption versteht schon der Laie, daß sich die Wirtschaft in die Staatshandlungen einmischt – Stichworte: Lobbyismus und Bestechungen.«
Nein.
Der Laie versteht, dass Korruption bedeutet, dass jemand zum Erreichen eines eigenen Vorteiles einen (vermuteten) Entscheider zu beeinflussen versucht durch Gewährung oder nur Versprechung eines (vermeintlichen) Vorteils für diesen.
Dass sich Wirtschaft einmischt, ist noch keine Korruption, sondern erst einmal nur berechtigte Interessenvertretung.
Zur Korruption wird die Interessenvertretung erst durch die Wahl bestimmter Mittel, die als gesetzeswidrig qualifiziert sind oder wenigstens als unmoralisch angesehen werden.
»Doch warum wird die eine Korruption verurteilt, wenn der gegensätzliche Korruptionsweg, in welchem das Staatswesen die Wirtschaft beeinflußt, gutgeheißen wird?«
Wodurch qualifiziert sich die staatliche Einflussnahme auf die Wirtschaft zur Korruption?
»Die Wirtschaft« hat der Gesellschaft zu dienen – jedenfalls nach den propagierten und niedergeschriebenen Grundsätzen unserer Gesellschaft. Und damit sie der Gesellschaft dient, muss sie sich genauso einigen Regeln unterwerfen, wie es auch jedes Individuum tun muss, um das Funktionieren der Gesellschaft zu gewährleisten.
Ob die Regeln verbesserungsfähig sind, mag diskutabel sein, ist aber hierfür nicht relevant. Und hat mit Grundeinkommen ebenfalls wieder einmal rein gar nichts zu tun…
»Es scheint fast so als würde sich das unbewußte Fußvolk auf gewisse Art und Weise selbst sabotieren und deshalb irgendwie noch daran festhalten wollen, daß sogenannte Think Tanks und Lobbyistentreffen wie die Atlantik-Brücke zu unserer Gegenwart gehören.«
Und wo ist hier noch gleich der Zusammenhang mit dem Grundeinkommen?
»Aber gut.«
Nein, schwach – sehr schwach sogar. Weil überwiegend weit am betitelten Thema vorbei.
»Weil in dieser Zeit auch der „Genderwahnsinn“ seinen Beitrag dazu leistet, daß viele Menschen die Orientierung verlieren und deshalb mittlerweile kaum noch wissen ob sie Mann oder Frau sind, ist es auch selbsterklärend daß sie anfangen zu glauben ein bißchen schwanger sein zu können.«
Und wo ist hier noch gleich der Zusammenhang mit dem Grundeinkommen?
Ich gebe zu, beim ersten Überfliegen des Artikels und in meiner ersten Spontanreaktion auf Facebook dazu, der Meinungs gewesen zu sein, der Artikel enthielte interessante Fragen.
Das ist auch so. Einige, der im besprochenen Artikel gestellten Fragen sind gut und sehr berechtigt – manche sogar sehr wichtig.
Leider bespricht aber der Autor eben nicht diese Fragen, sondern stellt sie wirr gegen ein Grundeinkommen und glaubt scheinbar ernsthaft, hier nachvollziehbar und vor allem sachdienlich argumentiert zu haben und mit diesen Fragen zu belegen, weshalb ein Grundeinkommen falsch sei oder nicht finanzierbar oder die Befürworter irgendwie unzurechnungsfähig oder … ich weiß es nicht – er begründet seine wirren Ausführungen ja nicht. Jedenfalls weder vernünftig und themenbezogen, noch stichhaltig.
Wieder einmal habe ich mich zu früh auf eine sachdienliche und konstruktive Diskussion gefreut, musste aber bei genauerem Hinsehen erleben – wie bisher immer – dass die geäußerte Kritik keiner näheren Betrachtung standhält, ja sogar noch nicht einmal beim selbstgewählten Thema bleibt.
Schade um die Zeit.
Ich hoffe aber, dass meine Zeit für dich nicht umsonst war, lieber Leser. Ich hoffe, ich konnte dir helfen, solche Artikel besser zu hinterfragen und in deinen Diskussionen zum Thema Grundeinkommen besser zu verstehen, weshalb nicht alles, was »Argument« sein soll, auch ein Argument ist – erst recht kein stichhaltiges.
Bitte nutze die Kommentarfunktion, um mir und den anderen Lesern mitzuteilen, wie du darüber denkst – herzlichen Dank.
Auch Fehlermeldungen sind sehr willkommen… 🙂
Viele Grüße
Detlef Jahn