Replik auf Matzat: Was viele Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens in ihrer Euphorie übersehen

Sehr geehrter Herr Martin Matzat,

herzlichen Dank, dass Sie sich zum Grundeinkommen geäußert haben. Das gibt mir Gelegenheit und ist mir Bedürfnis, darauf zu replizieren. Ich werde mich auf folgende Veröffentlichung vom 9.3.2018 beziehen: http://martinmatzat.com/was-viele-befuerworter-des-bedingungslosen-grundeinkommens-in-ihrer-euphorie-uebersehen/.

Den ersten Teil, in dem der Autor sich damit beschäftigt, dass niemand vor Filterblasen und Scheuklappen gefeit ist, überspringe ich, weil es inhaltlich weitgehend nachvollziehbar und thematisch ein sehr allgemein gültiger Beitrag ist, der sich nun nicht ausschließlich auf das Grundeinkommen beziehen lässt. Ich gehe nur auf die Passagen ein, die sich mehr oder weniger direkt auf das Grundeinkommen beziehen oder wenigstens lose damit zu tun haben. Leider ist das mengenmäßig ein eher geringer Anteil. Auch hier wieder korrigiere ich mit Absicht die Schreibweise des Originals nicht.

»Doch so wie ich mich schon diverse Male in einer Filterblase wiedergefunden habe, laufen natürlich auch die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens Gefahr es mir gleich zu tun.«

Ja, aber das ist eine allgegenwärtige Gefahr, die jedem droht, der sich mit einem speziellen Thema beschäftigt.

»Worauf sich die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens stützen
Gegenwärtig ist es eine klassische Vorstellung.
Es ist die Vorstellung, daß das Geldwesen vom Staat zu organisieren sei.
Ok, die Zentralbank ist als angebliche „neutrale Instanz“ noch mit dazwischen.«

Also, die Konzepte, die ich kenne, basieren auf gegenwärtigen Zuständen.

Was auch anderes soll man als Basis nehmen und weshalb?

Es soll hier wohl suggeriert werden, dass Voraussetzung für die Umsetzung oder den Erfolg eines Grundeinkommens eine Abkehr von gegenwärtigen Gepflogenheiten sei.

Das ist ein gravierender Irrtum oder es ist eine beabsichtigte Falschbehauptung. Denn die Realisierung eines Grundeinkommens und ein Erfolg desselben beruhen nicht darauf, ob hierfür vorher das wirtschaftliche oder politische System umgebaut wird.

Ein (von den meisten Befürwortern erwünschter) Erfolg kann es sein, dass sich als Folge eines Grundeinkommens die Menschen auf bessere Wirtschafts- und Politiksysteme einigen, als wir sie jetzt haben.

Eine anderer (von der »Gegenseite« erwünschter) Erfolg wäre, dass der Kapitalismus noch eine volle Runde weiter galoppieren kann, weil die große Mehrheit sich für noch schnelleren Konsum entscheidet.
Dann brauchen sich unsere Kinder und Enkel hinterher keine Gedanken mehr über Wirtschaftssysteme machen, weil uns die Natur in den Arsch getreten und den Abfluss hinunter gespült hat.

»Aber letztlich fußen 98 Prozent der BGE-Konzepte darauf, daß das bedingungslose Grundeinkommen staatlich zu organisieren sei.«

Naja, kommt drauf an, wie eng oder flexibel man »Staat« sehen möchte.

Ich bevorzuge die Sichtweise, dass der Staat für alles Organisatorische zuständig ist, das alle oder wenigstens eine Mehrheit betrifft. Und weil das Grundeinkommen alle bekommen sollen, ist es doch naheliegend, das eine zentrale Organisation durchführen zu lassen.

Ich selbst bevorzuge eine neue eigenständige, gesellschaftlich kontrollierte Instanz, die regierungsunabhängig (!) für das Grundeinkommen zuständig ist. Siehe u. a. auch »Wie kommt das Grundeinkommen in die Welt?«.

»Es ist das „gesetzliche Zahlungsmittel“, welches über ein Grundeinkommen innerhalb der Gesellschaft verteilt werden soll.«

Ja, selbstverständlich doch! Welches denn sonst? Etwa ein »ungesetzliches«, eins, das nur regional begrenzte Akzeptanz findet, eins, zu dem nicht alle Zugang haben?

Ich verstehe noch nicht einmal im Ansatz, wie man eine solche Frage öffentlich stellen kann…

Und was ich noch weniger verstehe, ist, weshalb man solch Unausgegorenes erbricht und noch nicht mal im Ansatz den Versuch unternimmt, es zu begründen oder Möglichkeiten oder Alternativen zu beschreiben.

Ich wusste gar nicht, dass Philosophie sich immer nur auf (mehr oder weniger kluge) Fragen beschränken sollte. Ganz im Gegenteil: Die bekannteren und als gut/klug angesehenen Philosophen haben kluge Antworten auf sie bewegende Fragen gesucht und meist auch gefunden. Diese Antworten haben zwar die Menschheit nicht davon abgehalten, weiter an der eigenen Vernichtung zu arbeiten, aber immerhin… diese (echten) Philosophen haben Stellung bezogen.

»Es ist der Glaube daran, daß das, was Staat macht, schon (irgendwie) Hand und Fuß habe.
Es stellt sich die Frage, ob dieser Glaube an das gegenwärtige Staatskonstrukt naiv ist!
Denn wenn das bedingungslose Grundeinkommen als Antwort auf soziale Verwerfungen unserer Gegenwart gelten soll, muß konsequenterweise auch näher beleuchtet werden, warum diese sozialen Verwerfungen überhaupt entstanden sind.«

Nö.

Mensch/Gesellschaft kann entscheiden, ein Grundeinkommen haben zu wollen und es einfach starten.

Die vorherige Beseitigung von Verwerfungen ist dafür keine Voraussetzung.

Und das Grundeinkommen selbst bereinigt auch keine gesellschaftliche Verwerfungen – das ist auch gar nicht seine Aufgabe. Eine leider auch unter den Befürwortern häufig zu hörende Fehlinterpretation. Hier ist der Autor also entschuldigt.

Das Grundeinkommen ist oder macht nicht die Veränderung, sondern ist die Ermöglichung der Veränderung. Ein gravierender Unterschied, den die meisten Menschen leider gar nicht erkennen.

»Sofern nämlich der Staat zu diesen sozialen Verwerfungen (in massiver Art und Weise) beigetragen hat, müssen die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens für sich eine Entscheidung treffen:
A) Entweder sie setzen sich kritisch mit den vergangenen und gegenwärtigen Handlungen eines Staates auseinander, damit diese Fehler in Zukunft nicht noch einmal gemacht werden, weil ansonsten ein möglicher und positiver Effekt eines BGEs verpuffen könnte.«

Auch hier steht wieder die Behauptung ohne jede Begründung oder wenigstens Erläuterung im Raum, ist also nichts, als leeres Gerede.

Womöglich in böser Absicht der gezielten Verunglimpfung?

»Die Fehler des Staates« aus der Vergangenheit dafür verantwortlich zu machen, dass deshalb eine positive Veränderung nicht möglich sei, entbehrt jeder Vernunft.

Ein Grundeinkommen kann auch »verpuffen«, ohne, dass »der Staat« extra noch Fehler macht – wenn die Primitiv-Konsumlinge die Oberhand behalten sollten. Dafür braucht es weder den Staat, noch besonders viel Phantasie.

Aber das Grundeinkommen beinhaltet eben auch die Hoffnung, ja sogar die echte Chance, dass sich die Intelligenten mit guten Absichten durchsetzen können.

»Oder B) Sie nehmen unkritisch die bisherigen Staatshandlungen hin und betrachten die sozialen Verwerfungen als gegeben ohne die dahinter liegenden Ursachen näher zu erforschen geschweige denn zu verstehen.«

Müssen sie ja auch nicht, wie oben begründet.

Das Grundeinkommen selbst »macht« gar nichts. Es ermöglicht beide Richtungen. In welche wir gehen, werden wir erst erfahren, wenn wir losgelaufen sind.

»An dieser Stelle begeben sich die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens allerdings in einen nicht zu unterschätzenden Konflikt:
Setzen sie sich kritisch mit den Handlungen des Staates auseinander, dann könnte es sein, daß sie dabei für sich erkennen, daß der Staat für Organisation und Verteilung eines Grundeinkommens ungeeignet ist.«

Ist er nicht, jedenfalls nicht so pauschal, wie behauptet, wenn vernünftige Regeln aufgestellt werden.

Auch wieder nur eine Nebelkerze, die keinerlei Substanz hat, aber toll klingt, wenn sie aufschlägt.

»Das würde dann wiederum allerdings bedeuten, daß das bisherige Konzept des BGEs womöglich so löchrig ist wie ein Schweizer Käse, so daß die Idee des Grundeinkommens in der neu gewonnenen Vorstellung wahrscheinlich sogar komplett begraben werden müßte.
Das Unterbewußtsein – und damit auch das eigene Ego – spürt diese Gefahr.
Und somit sind viele Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens auch dazu geneigt an ihrer BGE-Idee auf Gedeih und Verderb festzuhalten.
Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens dürfen also nicht wirklich staatskritisch denken.«

Ein Zirkelschluss, der sich selbst bestätigt, ist alles, aber kein vernünftiges Argument.

Nochmal: Ein Grundeinkommen befreit die Menschen vom Zwang zur Erwerbsarbeit gegen Bezahlung, um den eigenen Lebensunterhalt zu sichern – nicht mehr und nicht weniger.

Das hat nun aber rein gar nichts mir Staatskritik zu tun.

Das Problem ist nur, dass auch das die wenigsten Menschen verstehen. Denn wenn es eine größere Mehrheit verstehen würde, hätten wir längst ein Grundeinkommen oder stünden kurz davor, es zu bekommen.

„Wenn ein ehrlicher Mensch erkennt, daß er irrt, dann wird er sich entweder seines Irrtums oder seiner Ehrlichkeit entledigen.“
(Unbekannt)

Toller Spruch – gilt der auch für den Herrn Philosophen?

»Des weiteren stellt sich daraufhin natürlich auch die Frage, was das vom eigenen Ego und Unterbewußtsein auferlegte Denkverbot noch mit Freiheit zu tun hat…!?
Denn wenn das BGE den Menschen auf materieller Ebene mehr Freiheiten ermöglichen soll, wieso nimmt man sich die Freiheit dann in seinen eigenen Gedanken?
Das riecht nach Widerspruch!«

Jawohl – Widerspruch von mir.

Denn auch das ist weder ein Argument gegen ein Grundeinkommen, noch ist es als Behauptung überhaupt zutreffend.

Siehe vorher und in hunderten anderen Artikeln zum Grundeinkommen nachlesbar: Das Grundeinkommen bewirkt eine Befreiung, auch des Denkens. Und diese Befreiung ist es erst, die ermöglicht, eine bessere Gesellschaft zu formen.

Der Schreiber des hier besprochenen Artikels sollte sich mal etwas mehr im Denken üben – vielleicht fallen ihm dann die Widersprüche in seinen Artikeln auf – aber dazu müsste er seine eigenen Blockaden überwinden und fähig oder überhaupt erst einmal Willens sein, sich auch mal »neben sich zu stellen« und seine Ansichten »von außen« zu betrachten.

Im Zweifel hilft gegen zuviel eigenes falsches Denken auch ein sorgsames Quellenstudium…

»Denn wenn an der Staatskritik etwas dran ist, dann läuft das Ego Gefahr zu erkennen, daß es sich ein Leben lang getäuscht hat und somit einen Irrtum lebt – einfach deshalb, weil dem eigenen Denken und der eigenen Lebensweise falsche Grundannahmen vorgelegen haben müssen.
Da dieser Irrtum nun nicht erkannt werden will, müssen staatskritische Menschen im Sinne der eigenen Komfortzone ausgegrenzt oder gar mundtot gemacht werden.
In dieser Zerrissenheit finden sich – zumindest unbewußt – auch die Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens wieder.
Sofern sie nämlich den staatskritischen Finger zu sehr in die Wunde legen, laufen sie Gefahr in die rechte Ecke gedrückt zu werden und mit ihnen auch die Idee des BGEs selbst.
Dies wiederum könnte dann durchaus zur Folge haben, daß sich die staatsunkritischen BGE-Freunde zu distanzieren versuchen, um die BGE-Idee wieder auf „die politisch korrekte Seite“ zu ziehen.«

Echt jetzt…?!

Das lasse ich einfach mal für sich selbst wirken.

Aber eine Frage habe ich doch dazu: Wodurch genau ist das jetzt ein Argument gegen ein Grundeinkommen?

»Man stelle sich in diesem Zusammenhang einfach mal folgendes vor:
Kann es das Ego einer Katja Kipping (Grundeinkommensbefürworterin sowie MdB, Die Linke) zulassen auf einmal mit der AfD in eine Schublade gesteckt zu werden?«

Naja… da müsste man die Katja mal selbst fragen. Vorher sollte man aber klären, ob unter »Grundeinkommen« die AfD und die Katja dasselbe verstehen, was relativ unwahrscheinlich sein dürfte. Die Katja will ja noch nicht einmal mit den parteiinternen Grundeinkommens-Gegnern »in eine Schublade« gesteckt werden – was ich sehr gut verstehe. Da stellt sich die Frage nach der AfD also erst gar nicht.

Das ist also auch wieder nur eine substanzlose Nebelkerze, die nur Propagandagetöse ist.

»Wie aufrichtig kann eine Katja Kipping Staatskritik betreiben, damit ein bedingungsloses Grundeinkommen als Ganzes Hand und Fuß hätte?«

Weshalb sollte ein Grundeinkommen nur Hand und Fuß haben, wenn Katja Kipping oder sonstwer Staatskritik übt?

Da erschießt sich mir der Zusammenhang wieder einmal nicht.

»[…]
Wird das Sichern und Entstehen von Monopolen unterbunden, wenn das bedingungslose Grundeinkommen eingeführt wird?«

Nö.

Wie mehrfach ausgeführt, will, kann und soll das Grundeinkommen das auch gar nicht.

»Abschlußfrage
Wie könnte ich ein nachhaltig stabiles BGE-Haus bauen, wenn ich keine Ahnung davon habe ob und wie ich das Fundament zu gestalten habe, weil ich mich in meiner Bequemlichkeit nie damit auseinandergesetzt habe, was ein Fundament überhaupt ist?«

Hier gibt es eine einfache Antwort:
Weil das Grundeinkommen selbst das Fundament sein könnte – oder zumindest ein wichtiger Teil davon.

Fazit:
bei Licht betrachtet, bleibt nicht viel übrig, was lohnt, darüber zu sprechen. Jedenfalls mit Bezug zum Grundeinkommen.

Viele Grüße
Detlef Jahn

PS:
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