Im Ton vergriffen

Abschlussbild "The Music Of The Wall In Concert" - Gewandhaus Leipzig, 2.2.2023
Abschlussbild „The Music Of The Wall In Concert“ – Gewandhaus Leipzig, 2.2.2023

Der Weihnachtsmann hat Karten für ein spannendes Konzert gebracht – »The Music Of The Wall In Concert« – und gestern abend war ich mit meiner Liebsten im Leipziger Gewandhaus im Großen Saal und habe beobachtet und zugehört.

Es war interessant…

Ich habe Anfang der 1980er Jahre, gemeinsam mit meinem Cousin die Gelegenheit bekommen, »The Wall« auf Platte für vier Stunden (!) zu leihen und aufzunehmen. Wir beide hatten damals tschechoslowakische Tesla-Tonbandgeräte (er ein B115, mit eingebautem Verstärker, und ich ein B116). Sie waren damals das beste, was man als Privatmensch im Einzelhandel kaufen konnte (Dreikopfsystem mit 19,05 cm/s und manueller Pegelaussteuerung für beide Kanäle getrennt). Im Vorfeld haben wir uns die damals besten ORWO-Bänder besorgt, um die bestmögliche Qualität aus den Platten rauszukitzeln. Mein Cousin besaß einen Tangentialarm-Plattenspieler (wahrscheinlich der »HMK-PA 1203« vom VEB Phonomat Pirna-Rottwerndorf) und ein »RK 8 sensit« von RFT und ich ein »RS 5001« von Robotron (die damals besten verfügbaren Receiver aus inländischer Produktion). Wir haben alles an ein Mischpult gehängt und haben dann mit Probeaufnahmen verschiedener Laustärkeabschnitte alles eingepegelt und dann seine Mutter angewiesen, ja nicht durch die Wohnung zu laufen – wir hatten damals hervorragende Ohren und wollten jeden Trittschall vermeiden. In einer Altbauwohnung mit Holzdielenboden hatten wir hervorragende Klangbedingungen, aber eben auch ein hohes Risiko für Störgeräusche. Alles hat super geklappt und wir hatten am Ende beide unseren wichtigsten Schatz sicher geborgen – das komplette Originalalbum »The Wall« von Pink Floyd in bestmöglicher Aufzeichnungsqualität, die für »Otto-Normalbürger« damals in der DDR möglich war.

Während ich das schreibe, höre ich unter Beyerdynamic DT 770 Pro den Digital-Remix von 2011.

Ich behaupte, das Album gut zu kennen und es ist nicht ohne Grund eins der wichtigsten und besten Alben der Rockmusikgeschichte.

Das Besondere an der Musik von Pink Floyd ist die feine Auflösung der verschiedenen Klänge und Geräusche – selbst an den Stellen, wo es auch mal ordentlich laut wird. Und vor allem auf »The Wall« gibt es viel zu entdecken.

Soweit meine Vorgeschichte mit »The Wall«, damit du einen Eindruck bekommst, was du von meiner Konzertrezension zu halten hast.

Noch eine wichtige Anmerkung vorab: Wir hatten leider weniger gute Plätze, denn Reihe zwei am rechten Rand des Mittelbereiches ist zu weit vorn und zu weit rechts – da plautzen einem die rechten Boxen die Ohren kaputt und von links hört man nichts bis (zu) wenig. Meine nachfolgenden Ausführungen können also einem völlig falschen Eindruck entspringen, der dem akustisch schlechten Hörplatz geschuldet ist. Auf besseren Hörplätzen kann das ganz anders geklungen haben. Ich behaupte jedoch, dass ich genug von der Pink Floyd-Musik verstehe und unterstelle, dass (ein) professionelle(r) Techniker an den Reglern saß/en.

Es war toll.

Und es war Scheiße.

Ein Lehrbeispiel, wie leicht man ein Meisterwerk kaputtmachen kann – und gleichzeitig auch dafür, wie scheißschwer es ist, Musik wirklich gut zu spielen.

Es war für den vergleichsweise kleinen Raum viel zu laut.
»Rockmusik« bedeutet NICHT »ohrenbetäubende Lautstärke«.

Merke: Lautstärke killt Sound.

Und merke außerdem: »The Wall« ist kein lautes Album, sondern ein fein differenziertes, hoch aufgelöstes, klingendes Album.

Ab einem bestimmten Punkt kann das menschliche Ohr »Lautstärke« nicht mehr in »Klang« auflösen, geschweige denn Einzelklänge differenzieren. Aber gerade die Pink Floyd-Musik lebt von feiner klanglicher Auflösung – peng, kaputt.

Es waren drei Gitarristen dabei, die leider keine klare Aufgabenverteilung hatten, sondern jeder mal alles machen durften – und zu oft alle gemeinsam. Aber gerade die sehr differenzierten Gitarrenklänge des Albums haben die drei zu oft wirr durcheinandergerührt und zu wenig synchron gespielt. So kam zu oft Klangmatsch heraus, der dem Werk nicht gerecht wurde – peng, kaputt.

Die Synthesizer waren kaum zu hören und gingen im Lärm unter. An einigen Stellen sind sie aber als »Klangverbinder« und auch streckenweise als eigene Soundprägung sehr wichtig – peng, kaputt.

Beim Schlagzeug waren die Becken zu hochtonig-grell, zu laut/dominant und zu steif (praktisch ohne jeden Nachklang) – hat mich die ganze Zeit über voll genervt und geärgert. Die hätten besser in die Chinesische Oper gepasst – peng, kaputt.

Einer der Gitarristen durfte singen (Chester Kamen) – und hätte es besser nicht versucht… oder der Mann am Pult sollte ersetzt werden. Es war jedenfalls kein Genuss. Dieter würde auf seine heute milde Art sagen: »Du hast einfach keine gute Stimme.«

An Stellen, wo David Gilmour im Originalwerk eine markante Solo-Akustikgitarre auf schönstmögliche Art und Weise kredenzt, haben sich hier zwei (und manchmal auch alle drei) asynchrone Gitarristen im Weg gestanden und einer verzupft sich auch noch ein paar Mal… bei »Is There Anybody Out There«, dessen Gitarrenstück zu den wohl bekanntesten und meistgeübten Stücken aller Gitarrenspiel-Lernenden gehört – peng, kaputt.

Aber es gab auch Positives zu erleben.

Mir hat der Hauptsänger gut gefallen. Vom Mischpult leider oft etwas vernachlässigt, hat er seine Sache sehr gut gemacht und auch Emotionen durch Körpersprache sehr gut transportiert – hier war ich über gute Strecken richtig in der großen Oper.

Marky Lennon hätte ich gerne mehr gehört, sein Stück als Hauptsänger hat mir auch ganz gut gefallen.

Die Videoprojektionen waren überwiegend spannend und auch streckenweise sehr gut aktualisiert (Putin, Biden, Trump und andere aktuelle Figuren). Der Bezug des Albums zum Krieg wurde durch deutlichen Verweis auf die Ukraine aktualisiert und eine ukrainische Sängerin war zu Gast (konnte mich jedoch gesanglich nicht überzeugen).

Die Lichtanlage hat ein paar Mal voll aufs Publikum gehalten und geblendet, das hat mich dann immer sehr genervt. Aber davon abgesehen, waren die Lichteffekte gut. Mehr aber auch nicht – jedenfalls weit entfernt von einem »Oh mein Gott«.

Alles in Allem würde ich der Mixerbesatzung die niedrigste Punktzahl geben (nämlich Null), denn die hat die klanglichen Feinheiten von »The Wall« zerstört. Sie hat keinen »Sound« produziert, sondern nur Lautstärke. Dank ihnen habe ich z. B. von Harry Waters’ Hammond-Orgel gar nichts gehört.

Es gab insgesamt ein paar wirklich gute Stellen, aber leider auch viel zu weite Strecken, die klanglich nicht mal in die ungefähre Nähe des Originals kamen.

Die Mehrheit des Publikums fand die ganze Sache ziemlich unterhaltsam und es gab gelegentlich auch Begeisterungspfiffe, aber Begeisterungsstürme bei den Sachsen hervorzurufen, bedarf es wesentlich mehr. Es gab freundlichen Applaus und dann eiligen Aufbruch. Zum Vergleich: Wenn Herman van Veen in Leipzig gastiert, platzt der Saal und das Volk lässt ihn kaum unter fünf Zugaben raus (ich hab schon sieben miterlebt)…

Am Ende war es absolut kein »rausgeworfenes Geld« für den Weihnachtsmann, aber ich hätte auch rein gar nichts verpasst, wenn ich nicht dort gewesen wäre.

Es war… interessant, es erlebt zu haben.

Gute Musik wirklich gut zu spielen, ist eben doch ganz schön scheißschwer.

Mich interessiert, wie dir meine Rezension gefallen hat – bitte schreib mir doch unten einen Kommentar – herzlichen Dank.

Viele Grüße
Detlef Jahn

4 Gedanken zu „Im Ton vergriffen“

  1. Ein Original und Coverversionen, egal von welcher Band, zu vergleichen ist m.E. immer problematisch. Ich habe PF, RW und DG schon sehr viele Male in Stadien und Hallen erlebt, auch da gibt es große Unterschiede im Sound, je nach Gegebenheit.! Auch in diesem Jahr werden die Unterschiede in Prag und Berlin bei RW zu hören sein. lg, Achim

    1. Herzlichen Dank für deinen Beitrag.
      Ja, Cover und Original dürfen selbstverständlich abweichen – im Idealfall sogar deutlich, sonst ist es kein Cover, sondern „nachäffen“.
      Aber einen ordentlichen Sound mischen oder Lärmbrei zu verursachen, ist keineswegs egal.
      VG
      Detlef

  2. …habe nun endlich Deinen Konzertbericht gelesen. Hast Du klasse gemacht. Schöne Einleitung u. differenzierte Darstellung des Erlebten. Hervorhebenswert finde ich den Punkt, dass Du Deinen Standort in der Halle in Deine Erörterungen zum Sound mit einbezogen hast u. darauf verweist, dass der Klang an einem anderen Platz evtl. besser hätte sein können. Das ist absolut korrekt u. so wird es auch gewesen sein. Allerdings müssen Tontechniker:innen😀 solcher Großveranstaltungen einfach dafür sorgen, dass die Beschallung in jedem Teil der Arena ausgewogen ist u. jeder zahlende Besucher ein ordentliches Sounderlebnis geboten bekommt. Dafür werden diese Fachkräfte wiederum tatsächlich ordentlich bezahlt u. technisch ist das heutzutage definitiv möglich. Punkt.
    Ein wirklich äußert interessant u. fundiert geschriebener Konzertbericht, an dem sich alteingesessene Musikrezensenten ein Beispiel nehmen können.

    Beste Grüße
    T.

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