Da hab ich es wieder erlebt

Im »Fratzenbuch« hat jemand seine Partei gescholten, was ja erst einmal seine Berechtigung haben mag – er ist halt mit verschiedenen Dingen unzufrieden und die Wahl vor ein paar Tagen hat gezeigt, dass der Wähler (teilweise) verstanden und seine Kreuze woanders gesetzt hat und das hat nun zu seiner Meinungsäußerung geführt. Soweit ist das alles okay und keinen Blogartikel wert.

Aber wie meist, gibt es (natürlich) ein »Aber«:

Ich habe auf meinen Artikel »Parteien raus aus den Parlamenten!« hingewiesen und prompt kam die erwartete Reaktion.

Jemand schrieb:

[…] Es ist wichtiger denn je, das jeder in der Partei sich selbst, die Frage stellen muss, bin ich ein Linker/Liberaler/Sozialdemokrat/Grüner… oder nur ein Parteimitglied? Da fängt es an – alles andere ist nebensächlich. Das ist im Moment die Frage aller Fragen.«

Nein, die Frage »Wer oder was bin ich (politisch)?« ist die völlig falsche Frage.

Es muss gefragt werden – und das muss Jeder bei sich selbst beginnen:
»In was für einer Welt/Gesellschaft/Umwelt will ich leben?«

Und noch sehr viel wichtiger sind diese Fragen:
»Was für eine Umwelt und Gesellschaft will ich meinen Kindern, Enkeln und späteren Nachfahren hinterlassen?«

und – und das ist die wichtigste aller Fragen:
»Was war/ist mein Beitrag dafür oder dagegen?«

Denn eine Frage werden zukünftige Generationen stellen:
»Warum habt ihr das zugelassen?!«

Sie sind ja bereits dabei, diese Frage zu stellen, denn nichts anderes ist die ›Fridays for Future‹-Bewegung:
die Formulierung der Frage »Was tut ihr dagegen?«

Der ganze Parteienquark ist das Unwichtigste überhaupt.

Daraufhin wurde ich (natürlich) belehrt:

»Ich bin in weiten Teilen bei dir. Aber das, was du Parteienquark nennst, ist unsere, durch das Grundgesetz vorgegebene Demokratie.«
[An anderer Stelle wird  folgender Verweis genannt, aber hier passt er besser hin: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_21.html]

Wo steht im Grundgesetz, dass man Parteien braucht, um die Regeln einer Gesellschaft zu formulieren, nach denen die Menschen sich zu richten haben?

Die Begründung, weshalb »Parteien« das falsche Werkzeug sind, habe ich in meinem Blogartikel »Parteien raus aus den Parlamenten!« ausgeführt.

Ich sage ja gar nicht, dass Parteien ganz grundsätzlich nicht hilfreich sein könnten.
Ich sage nur, dass Parteien bei der Entscheidung der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Fragen einer Gemeinschaft nichts verloren haben.
Die Parteien können den jeweiligen Wahlkämpfer ja unterstützen – aber nicht entsenden.

Der Auftrag, das Mandat hat der Wähler zu erteilen, niemand sonst.

»Das Volk« ist der Souverän und nicht »die Parteien« – steht jedenfalls im Grundgesetz…

Das konnte er sich natürlich nicht gefallen lassen – die Partei, seine Partei ist ihm wichtig (womit ich überhaupt kein Problem habe)!

»Du kannst es ja gerne als Einzelkämpfer versuchen. Parteien und alles drum herum sind die Werkzeuge, um so Typen wie Adolf Hitler nicht durchkommen zu lassen.«

Nein, sind sie nicht.

Es gab ja Parteien – sogar starke.
Und was genau haben sie verhindert? Jedenfalls keinen Adolf Hitler.
Belege deine Behauptung!

Heute fehlt uns nur noch so ein Adolf Hitler, der Charisma mit ›Arsch in der Hose‹ auf sich vereint, und ihr Parteienheinis und Vereinsmeier würdet euch wundern, wie schnell und wie intensiv sich Geschichte wiederholen kann…!

Eure Arroganz und Selbstgefälligkeit kotzt mich wirklich an.

Alles, was die Politiker aus den »etablierten Parteien« zustande bringen, sind Verunglimpfungen ihrer Meinungsgegner.

Wann genau fand denn die letzte harte Auseinandersetzung in der Sache statt?

Heute geht es doch nur noch um Claims, »Markenkerne« und Pfründe, die es zu verteidigen gilt.

Bei allem Respekt für deinen kritischen Artikel, der wirklich ein paar Probleme benennt, aber du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass »die da oben« das ernstnehmen?!
Das einzige, was die ernstnehmen, sind Demonstrationen (im doppelten Wortsinn!), dass wir uns das nicht mehr gefallen lassen – auf der Straße und an den Wahltagen.

Wie sagte doch das bekannte Volkslied: »Die Partei, die Partei, die hat immer recht!«
Was bitte hat sich denn daran geändert? Nur die Namen der Parteien und dass es jetzt mehr Auswahl daran gibt.
Wer sich nicht an die Parteiraison hält, also die Meinung der jeweiligen Vorstandsetage teilt, wird untergepflügt – egal, wie recht er in der Sache haben mag.

Nochmal also meine Frage:
Wo steht im Grundgesetz, dass man Parteien braucht, um die Regeln einer Gesellschaft zu formulieren?
Dort steht nur, dass sie »mitwirken« – das können, dürfen und sollen sie ja – damit habe ich nun so gar kein Problem.

Vielleicht solltest du meinen diesbezüglichen Blogartikel doch nochmal in Ruhe und vor allem sorgfältig lesen… Dort steht, was ich meine, worauf ich mich beziehe und wie ich es begründe.
Deine Antwort beantwortet jedenfalls meine Frage nicht – nicht mal im Ansatz.

»Wieso muss ich das belegen – sind wir hier vor Gericht?«

Nun, wer eine Behauptung aufstellt, sollte sie belegen können – sonst bleibt es nur eine bloße Behauptung ohne jede Argumentationskraft und Bedeutung.

»Der beste Beweis ist zum Beispiel der, dass wir seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes keinen Adolf mehr hatten.«

Das ist kein Beweis, sondern bestenfalls »glückliche Umstände«, weil sich noch kein geeigneter Kandidat gezeigt hat und weil »die Zeit noch nicht reif« war.
Das letztere ändert sich jedoch gerade… aber das will keiner wahrhaben, denn es würde bedeuten, man müsste zugeben, etwas falsch gemacht zu haben.

»Und egal, was die AFD noch veranstaltet oder wer auch immer, die Tür ist zu.«

Das ist nichts als »Pfeifen im dunklen Wald«.

»Wahrscheinlich kenne ich mich einfach nicht so gut aus wie du. Ich lese deinen Artikel nochmal gründlich.«

Und danach:

»So, erledigt. Liest sich interessant. Nur vermisse ich ein Konzept, was auch umsetzbar wäre.«

Ein gern und immer wieder gemachter Fehler:
Derjenige, der auf einen Fahler oder einen Mangel hinweist, soll auch die Lösung des Problems liefern. Kann er das nicht, ist seine Kritik nichts wert.

Was hat das Eine mit dem Anderen zu tun?

Weshalb darf ich nicht hören können und es laut sagen, dass der Flötist falsche Töne gespielt hat, obwohl ich selbst gar nicht Flöte spielen und deshalb also dem Flötisten (oder dem Dirigenten) also gar nicht sagen kann, was er anders machen soll?

Weshalb darf ich nicht sehen und erkennen, dass der Turner die Beine nicht ordentlich durchgestreckt hat und es laut sagen, obwohl ich selbst nicht turnen kann?

Weshalb darf ich also nicht laut sagen, dass der Politiker Scheiße erzählt, wenn er – mein Vertreter! – inhaltsleeres Geschwafel von sich gibt und stundenlang redet, ohne etwas zu sagen?
Wenn ich es besser könnte, müsste ich nicht ihn in meine Vertretung entsenden, sondern könnte mich selbst darum kümmern.
Und wenn ich ihn beauftrage, in meinem Namen zu handeln, dann ist es doch Recht und billig, wenn ich verlange, dass er so spricht, dass ich verstehe, was er sagen will?!

»Du forderst, alle Abgeordneten nur noch in direkter Wahl wählen zu lassen.
Du hast sicher eine Ahnung davon, wie viele Gesetze in Kommunen, Land und Bund dafür geändert werden müssten?«

Eine hervorragende Frage!

»…Viele davon mit 2/3 Mehrheiten. Träum weiter!«

Und wie viele der vorhandenen Gesetzte sind, bei Licht und mit Vernunft betrachtet, eigentlich sowieso aktualisierungsbedürftig, wenn nicht sogar völlig überflüssig – nicht nur bei diesem Thema…?!

»Das Wort ›unmöglich‹ existiert nur im Sprachschatz der Narren.«
(Napoleon)

und

»Wer wirklich etwas will, findet einen Weg.
Wer nicht wirklich will, findet Ausreden.«
(Willy Meurer, deutsch-kanadischer Kaufmann, Aphoristiker und Publizist)

Es ist ein schlimmes Zeichen, wenn selbst »Fachleute« oder sogar »Experten« keinen vernünftigen Überblick über die vorhandenen Gesetze mehr haben – ich sage nur »Steuergesetzgebung«!

Und wen aus den Parteien juckt das auch nur? Niemanden!

Aus welcher Partei ist denn jemals ein echter Arbeitsansatz erfolgt, richtig ernsthaft die vorhandenen Gesetze auf ihre Sinnhaftigkeit zu prüfen und – noch wichtiger – auf ihre Verständlichkeit und Plausibilität?!

Mal gar nicht davon zu reden, dann solche Gesetze auch abzuschaffen und nicht durch weitere zu »ergänzen und zu (verschlimm)verbessern«…!

Stattdessen werden stetig neue Gesetze erlassen, die großteils hanebüchener Unsinn, aber unverzichtbar sind für die Existenzrechtfertigung von Steuerhinterziehungsgehilfen, Rechtsverdrehern und Beraterparasiten.

Die sterbende Vernunft reißt die Hoffnung ins Verderben und am längsten überleben die Drillinge Ignoranz, Arroganz und Dummheit.

»Ich fürchte schon seit Längerem, in kapitalistisch verfassten Demokratien könnten sämtliche staatlich geleiteten »Reformen« eigentlich nur zwei Ergebnisse haben: mehr Unterdrückung oder mehr Chaos.
Wobei wahrscheinlich das zweite Ergebnis in vielen Fällen wiederum der Herbeiführung des ersten Ergebnisses dient.«
(Henner Reitmeier; https://www.heise.de/tp/features/Ihr-tut-mir-Leid-3378067.html)

Mein Diskussionspartner:

»Ich bleibe in einer Partei und versuche weiterhin, die Maschine von innen heraus zu verändern. Und ich bin nicht der Einzige.«

Das ist noch nie(mandem) gelungen.

Du solltest dir Menschen suchen, die konkrete Dinge ändern wollen – Parteibücher jeder Sorte sind dafür nicht nötig, aber oft hinderlich.
Wichtiger als Parteibücher ist es, gleiche Ziele zu haben und gemeinsame Wege zu finden.

»Es ist schwierig, einem Menschen etwas begreiflich zu machen, wenn sein Gehalt davon abhängt, es nicht zu begreifen«
(Upton Sinclair)

Parteibücher dienen nur dazu, uns klein zu halten und auf das typische und völlig nutzlose »Nein, ich weiß das aber besser!« zu reduzieren und zu verhindern, dass wir (gemeinsam!) zu tatsächlichen Lösungen für Probleme finden, die auch relevant sind.

Und ganz entscheidend (man kann es nicht oft genug zitieren):

»Durch die Aufspaltung der Wähler in das politische Parteiensystem können wir sie dazu bringen, ihre Energie für Kämpfe über Fragen aufzubrauchen, die keinerlei Bedeutung haben…«
(Montagu Collet Norman, Gouverneur der Bank of England von 1920-1944, bei einer Ansprache vor der Bankiersvereinigung in New York 1924)

Viele Grüße
Detlef Jahn

3 Gedanken zu „Da hab ich es wieder erlebt“

  1. War es nicht von Weizsäcker, der da meinte, die Parteien haben sich den Staat zur Beute gemacht…?
    So gesehen kann man die Parteien getrost abschaffen.

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