12: und Gefräßig

(Dumm, Faul und Gefräßig – Teil 3)

In den beiden ersten Artikeln »Dumm« und »Faul«dieser Kleinserie hatte ich angemerkt, dass unser Gegenüber nicht so dumm ist, wie wir gern unterstellen, sondern eher wir selbst und ich habe gezeigt, dass wir insgesamt doch gar nicht so faul sind, wie wir uns so gern gegenseitig vorwerfen.

Heute denke ich über Gier und Konkurrenz nach und beende die Artikeltrilogie »Dumm, Faul und Gefräßig«.

Hm… Mal sehen, wo der Anfang vom roten Faden rumliegt.

Uns wird gern und häufig eingeredet, dass wir vom ›Sozialdarwinismus‹ getriebene Egoistenschweine sind, die dem Gesetz ›Survival of the Fittest‹ (der Stärkere überlebt) folgen und deshalb gar nicht anders können, als in Konkurrenz zueinander darauf hinzuarbeiten, selbst immer mehr zu haben und zu erreichen, als möglichst alle Anderen.

Wollen wir das aus uns selbst heraus wirklich – ist der Mensch an sich eogistisch?

In »Faul« habe ich auf die Arbeitsteilung hingewiesen und wie wichtig sie für unsere Entwicklung war und bis heute für unsere Existenz ist. Ein Wesen, das ›genetisch bedingt‹ egoistisch, also grundsätzlich ichbezogen ist, wird kaum freiwillig kooperativ leben. Und dauerhafte und friedvolle Kooperation ist nur möglich, wenn mindestens eine deutliche Mehrheit auf den eigenen Vorteil verzichtet – zugunsten der Gemeinschaft als ganzer und zugunsten anderer Individuenund – unter Einhaltung von gegenseitig fairen Regeln des Zusammenlebens und des Austausches von Leistung, Gütern und Wissen solidarisch miteinander umgeht. Und wenn die ›Sozialdarwinisten‹ und die Vertreter des ›Homo Oekonomicus‹ recht hätten, gäbe es solche kooperativen Gemeinschaften nicht oder zumindest wären sie nicht lange lebensfähig und würden jeweils von Konkurrenzgemeinschaften abgelöst und wir wüssten nicht viel von ihnen.

Die Wirklichkeit ist aber anders. In der gesamten bekannten Menschheitsgeschichte und überall auf der Welt gab und gibt es bis heute Gemeinschaften in kleinem und in größerem Umfang, die konfliktarm und friedvoll unter gegenseitigem Respekt füreinander und mit Vernunft und Klugheit miteinander und nebeneinander gelebt haben und leben.

——–
Sozialdarwinismus aus Sicht der Wissenschaft

Aus Sicht der Evolutionstheorie

In der Biologie hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass evolutionäre Vorgänge nicht immer von einer Höherentwicklung begleitet werden. Eine objektive Einteilung aller Lebensformen in höhere und niedrigere Gruppen ist grundsätzlich unmöglich, auch wenn sich dieser Eindruck aus der stammesgeschichtlichen Entwicklung ergibt.

[Anm.: Damit ist gemeint, dass die Evolution versucht, eine optimale Anpassung zu erreichen und diese muss nicht immer eine Höherentwicklung, sondern kann auch mal ›ein Schritt zur Seite‹ oder rückwärts sein, wenn dort das Optimum für eine notwendige Anpassung zu finden ist. Höherentwicklung ist nicht in jedem Falle besser.]

Anhänger des Sozialdarwinismus geben dem Begriff des Survival of the Fittest in der Regel eine Umdeutung, die durch den biologischen Zusammenhang, in den Darwin ihn stellte, nicht gedeckt ist. Laut Darwin war nicht das Überleben an sich, sondern die Zeugung möglichst vieler überlebens- und fortpflanzungsfähiger Nachkommen Grundlage biologischen Erfolges.

Der Begriff Survival of the Fittest wird im Deutschen oft fehlerhaft übersetzt: Dabei meint sie nicht körperliche Fitness im Sinne der körperlichen Leistungsfähigkeit, sondern die reproduktive Fitness im Sinne der Anpassungsfähigkeit einer Spezies an die jeweils herrschenden Umweltbedingungen. Dazu zeigt sich, dass sowohl die von Sozialdarwinisten abgelehnte genetische Vielfalt als auch die Existenz altruistischer Verhaltensweisen in der Natur weit verbreitet sind und sich meist positiv auf die evolutionäre Fitness einer Art auswirken.

Ein früher Kritiker herkömmlicher sozialdarwinistischer Theorien auf der Grundlage einer Theorie der Kooperation war der Anarchist und Geograph Pjotr Alexejewitsch Kropotkin mit seinem 1902 erstmals erschienenen Buch »Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt«. Bereits Kropotkin bemerkte, dass Darwin »the fittest« nicht als den körperlich stärksten oder klügsten definiert, sondern erkannt hat, dass die Stärkeren diejenigen sein könnten, die miteinander kooperieren. Eine aktuelle Theorie der symbiotischen Evolution vertritt Lynn Margulis.

Der Versuch, mittels einer an der Tier- und Pflanzenwelt orientierten Theorie menschliche Beziehungen erklären zu wollen, ist ein Analogieschluss, der nicht ohne Zusatzannahmen gerechtfertigt ist. Insbesondere ein biologistischer Determinismus wird weithin abgelehnt, da die gesellschaftliche Entwicklung von einer Wechselwirkung von genetischen und kulturellen Faktoren gekennzeichnet ist. Der Mensch kann sich mit anderen Worten durch Veränderung seiner Gene, seiner Kultur oder einer Kombination aus beidem anpassen.
——

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialdarwinismus

Das ist in sich so schlüssig, dass ich hierzu nichts weiter sagen möchte, außer: Die Sozialdarwinisten haben nicht recht.

Jeder normale Mensch kann einfach durch Beobachtung und Selbstprüfung feststellen, dass wir keine Egoistenschweine, sondern Solidarwesen sind, die auf Kooperation angewiesen sind – erst recht, nachdem wir die Erledigung der Notwendigkeiten so stark aufzuteilen gelernt haben. Wir brauchen einander und profitieren deutlich mehr davon, miteinander zu handeln, als gegeneinander. Und das betrifft alle Lebensbereiche. Es ist einfach vernünftig, weil es für alle Beteiligten Vorteile hat, wenn man zusammenarbeitet. Durch Zusammenarbeit

  • wird Wissen besser verbreitet,
  • können die Folgen von Naturgewalten, Unfällen und Unglücken oder menschlichen Fehlern besser beseitigt oder wenigstens gelindert werden,
  • werden Umweltschäden gemindert oder sogar von vornherein vermieden,
  • können Produkte sinnvoller und schneller verbessert werden,
  • wird weniger Energie, Material und Energie benötigt,
  • werden (vor allem individuelle) Defizite jeder Art besser ausgeglichen,
  • werden bessere Entscheidungen gefunden,
  • werden Konflikte leichter ausgeräumt, entstehen gar nicht erst so schwerwiegend oder werden gleich ganz vermieden,
  • entsteht grundsätzlich weniger Kriminalität.

Eine kooperative Gemeinschaft ist widerstandsfähiger gegenüber vielen Herausforderungen. Der hierfür gebrauchte Fachbegriff ist ›Resilienz‹.

Die ›Natur des Menschen‹ ist nicht egoistisch, sondern kooperativ-solidarisch. Den Egoismus erben wir nicht, sondern wir bekommen ihn anerzogen, wir lernen ihn und tragen ihn nicht in uns.
Und was wir erst lernen müssen, können wir uns erstens wieder abtrainieren und zweitens können wir vermeiden, es unseren Nachfahren weiterhin einzutrichtern.

Kooperativ sind wir von allein. Das können wir sehr schön an Kleinstkindern sehen, wie sie sich gegenseitig helfen und trösten oder wie sie teilen und vor allem, wie sie unbefangen aufeinander zugehen und miteinander vorurteils- und angstfrei agieren – wenn man sie lässt. Sie agieren vorbehaltlos, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Denn die Gegenleistung kommt genauso unaufgeregt, wenn sie benötigt wird. Kleine Kinder verhalten sich nur egoistisch, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen. Sie versuchen dann, durch Egoismus einen Ausgleich für empfundenes Unrecht zu erhalten. Die späteren, bewussten egoistischen Verhaltensweisen zeigen erst größere Kinder, die dann gelehrt bekamen, dass ›die Anderen‹ ihnen Böses wollen und sie auf ihren Vorteil bedacht sein müssten: »Lass Dir nicht die Butter vom Brot nehmen!«.

Und es gibt eine weitere Möglichkeit, unser solidarisch-kooperatives Wesen zu erkennen. Welche Kinder einer Gruppe sind die beliebtesten bei anderen Kindern und bei den Erwachsenen – welche Kinder genießen den meisten Respekt? Jene, die ein positives Sozialverhalten zeigen, die hilfsbereit sind, die andere unterstützen, die Fehler erkennen und kritisieren, die freundlich grüßen und ein offenes Wesen haben. Egoistische Kinder sind verschlossen, misstrauisch, häufig aggressiv, andere haben oft Angst vor ihnen. Kein Kind bringt diese Eigenschaften mit, sondern sie erwerben sie in den ersten Monaten und Jahren und werden sie dann später nur sehr schwer oder niemals wieder los. Es liegt an uns, wie wir mit einander umgehen.
[Siehe dazu weiterführend auch »Weshalb ein (bedingungsloses) Grundeinkommen Strafgefangenen hilft und der Gesellschaft nützt«]

»Was Du nicht willst, das man Dir tu‘,
das füg‘ auch keinem Andern zu!«

Prima. Wir sind also vielleicht doch noch zu retten.

Nun also noch einen kurzen Blick auf die Gier. Denn aus dem Egoismus erwächst die Gier. Wir wollen ja immer mehr haben und vor allem mehr als der Nachbar, am besten aber mehr als alle Anderen.

Sind wir wirklich so oder ist uns auch das eingetrieben worden – steckt das nicht in unseren Genen, sondern haben wir das gelernt?

Auch das kann eigentlich jeder selbst beantworten, der bei klarem Verstand ist.

Wollen wir wirklich jedes Jahr ein neues Handy oder wäre es uns lieber, wir bekämen eins, dass seinen Zweck ordentlich und über längere Zeit erfüllt? Weshalb schreien wir immer lauter nach immer tolleren Spielereien und Neuheiten? Weshalb wird alle Nase lang eine »verbesserte Rezeptur« angeboten? Weshalb können wir ein lieb gewonnenes Produkt und eins, das sich in der Anwendung sehr gut bewährt hat, ein halbes Jahr später nicht mehr kaufen? Ist die Ursache dafür wirklich unsere Gier?

Ganz klar: Nein!

Was ist dann der Grund?

Ganz einfach oder lieber kompliziert? Okay, erst mal stark vereinfacht: der Zins ist ein so starker Hebel, dass er zum Profit zwingt. Das ganze System dreht sich immer schneller und zwingt alle Beteiligten, immer schneller zu laufen, um mithalten zu können. Der Vergleich mit dem Hamsterrad ist gar nicht so falsch. Wir rennen uns die Seele aus dem Leib und kommen doch nicht von der Stelle. Heute ist der Aufwand, die Zinsen zu bezahlen, so hoch, dass nicht mehr genug Arbeitskraft übrig bleibt, um auch nur den Grundbedarf für alle zu decken (global gesehen). Und das Rad dreht sich immer schneller.

Zins und daraus folgende Profitgier zwingen

  • zu »geplanter Obsoleszenz« (das vorzeitige Verschleißen von Produkten) und
  • zu immer schnelleren Produktzyklen,
  • zu immer neuen Produkten, die niemand braucht, weshalb Bedarf geschaffen werden muss durch einen Werberummel, der uns mehr verwirrt, als dass er uns (über Produkteigenschaften) aufklärt,
  • zu meist künstlicher Verknappung von notwendigen Gütern und dadurch Verelendung von ganzen Landstrichen,
  • zu Kostenpflicht für Güter, die eigentlich für alle Menschen frei verfügbar gemacht werden sollten (z. B. Trinkwasser).

Der Zins ist der Antrieb für die Profitgier. Die ist nicht genetisch bedingt, sondern ein künstlich verursachtes Problem, indem irgendwann in grauer Vorzeit jemand gesagt hat: »Meins!« und sein Zeichen darauf gezeichnet oder einen Rand darum gezogen hat. Und künstlich verursachte Probleme können beseitigt werden.

Weil aber die Mächtigen von ihrer Macht korrumpiert und vom Wohlstand verführt sind, haben sie gelernt und können heute nicht mehr anders, als uns zu verwirren und uns zu erklären, der Mensch sei von Natur aus schlecht.

Uns wird erzählt, es sei Krise, wenn das Wirtschaftswachstum unter 2 % sinkt. Und es wird uns erzählt, Stillstand sei Rückschritt.

Niemand, der bei gesundem Verstand ist, kann das glauben. Dazu ist kein Studium nötig.

Wenn wir jeden Tag ein ordentliches Essen auf dem Tisch haben, weshalb soll das dann Krise sein, wenn nicht jeden Tag mehr Essen auf dem Tisch steht? Was soll mit dem mehr Essen geschehen, wenn alle am Tisch satt sind? Und die Fragen stellen sich erst recht, wenn das Mehr nur dadurch möglich wird, indem wir Anderen ihr Essen vorenthalten oder sogar direkt wegnehmen.

Wir wissen es doch besser: Es ist diese Fremdbestimmung, die uns antreibt, und hetzt und uns zu sinnlosem Konsum zwingt. Wir müssen lernen, uns von den Lügen der Mächtigen zu befreien, aus dem Hamsterrad auszusteigen und unser Leben selbst in die eigenen Hände zu nehmen.

Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ermöglicht,

  • dass wir nützliche Arbeit tun und sinnlose oder gar schädliche Tätigkeit beenden und verweigern,
  • dass wir uns vom Zins befreien können, wenn wir wieder gelernt haben, was wirklich wichtig ist und gut für uns,
  • uns Dingen zu widmen, die Umweltschäden mildern und zu heilen und neue verhindern,
  • zu erkennen, dass der uns drohend vorgehaltene demographische Wandel gar keine Gefahr ist,
  • uns anderen Menschen in anderen Ländern freundschaftlich zuzuwenden und dortige Krisen beseitigen zu helfen und nicht immer wieder neue zu provozieren,
  • allen Menschen Essen zu geben und dennoch unsere natürliche Umwelt vor der totalen Vernichtung zu bewahren,
  • teilzunehmen an Entscheidungsprozessen und die Gesellschaft so zu formen, dass alle in Frieden leben können.

Das BGE selbst tut nichts von alledem. Es versetzt uns nur in die Lage, keine Ausreden mehr finden zu müssen, wir hätten keine Zeit, keine Kraft und kein Geld, uns um die wirklich wichtigen Dinge zu kümmern und an Entscheidungen aktiv mitzuarbeiten.

Das BGE ändert gar nichts. Wir müssen uns ändern. Und das können und sollten wir schon jetzt beginnen. Sonst ändert ein BGE gar nichts.

Und weil jetzt hier noch ein kluges Zitat fehlt, kommt Vaclav Havel zu Wort:

»Entweder es herrscht Demokratie, oder sie herrscht nicht.
Ihre größten Feinde sind jedoch unsere Verantwortungslosigkeit, Gleichgültigkeit und Resignation als Bürger.«

Ich freue mich über jede kritische Wortmeldung, aber auch über jedes Wort des Lobes oder über Hinweise auf Fehler. Bitte nimm teil und sag Deine Meinung – vielen Dank.

Viele Grüße
Detlef Jahn

[fortgeführt unter »Egoistenschwein« –
25.1.2021: sprachliche und typografische Korrekturen, keine inhaltlichen Änderungen]

3 Gedanken zu „12: und Gefräßig“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert