Egoistenschwein

Im Artikel »12: und Gefräßig – (Dumm, Faul und Gefräßig – Teil 3)« habe ich mich mit der Frage beschäftigt, ob wir »von Natur aus gierig« sind und möchte heute dieses Thema noch einmal betrachten.

Ich halte genau diese Fragestellung für fundamental, weil hier tief verwurzelte Meinungen feststecken, die aufgelockert werden müssen, damit wir mehrheitlich den Blick frei bekommen auf eine mögliche positive Zukunft und für ein friedliches Miteinander.

Und um möglichst angstfrei in die Zukunft blicken zu können, muss man vorher in die Vergangenheit schauen.
Hierarchische Gruppenordnungen sind im Tierreich weit verbreitet, weil Hierarchien unter anderem Spezialisierung fördern und Arbeitsteilung erleichtern, aber auch, weil sie innerhalb der Gruppe die Wirksamkeit von Kooperationsleistungen stark verbessern können. Und auch in Beziehungen zu anderen Gruppen war Hierarchie von Vorteil, weil Anführer »im kleinen Kreis« besser in der Lage waren, Regeln auszuhandeln, wie Kontakte ablaufen sollten, weil diese Regeln dann Kooperation zwischen vorher rivalisierenden Gruppen möglich machten und diese Kooperation wiederum brachte Vorteile für den kooperativen Gruppenverbund gegenüber konkurrierenden Einzelgruppen.

Hierarchische Organisationsformen haben Vorteile, Kultur zu entwickeln, gegenüber anarchischen Gruppen, für es naturgemäß schwieriger ist, Entscheidungen zu finden, die von der ganzen Gruppe akzeptiert werden.

Schon vor Beginn der menschlichen Kulturgeschichte haben Einzelne in den Gruppen unserer Vorfahren Führung übernommen, basierend auf Kenntnissen oder Fähigkeiten, die ihnen Überlegenheit gegenüber Anderen ermöglichten. Eine Gruppe, die einen guten Anführer hatte, war im Vorteil gegenüber anderen Gruppen und gegenüber vielen natürlichen Gefahren, weil mit Hilfe kluger Entscheidungen bessere Wasserstellen, Höhlen, Jagdgründe und später, mit fortschreitender Kulturentwicklung, dann Ansiedlungs-, Weide- und Anbauflächen gefunden und erschlossen, erobert, verteidigt und ausgeweitet werden konnten.

Parallel dazu verstärkte sich die Arbeitsteilung weiter und die Anführer erhoben sich höher über die Niederen und beanspruchten zunehmend mehr Privilegien gegenüber den anderen Gruppenmitgliedern und immer größere Anteile aus den vorhandenen Gütern als Gegenleistung für ihre Führungstätigkeit. Es gab also einige Wenige, die sich mit (scheinbarem) »Nichtstun« Nahrung, Kleidung, Behausung und alles andere Notwendige und Angenehme verschafften, indem sie tatsächlich oder vorgetäuscht zum Wohl der Gruppe tätig waren, einfach dadurch, dass sie klüger/weiter dachten als Andere. Über das Wetter, über den Feind, über das Mammut – und in der Folge dann auch darüber, wie man sich noch mehr Vorteile verschaffen kann.

Schnell begannen sie, über ein akzeptables Maß hinaus mehr zu verlangen, als sie benötigten, dann auch noch für Angehörige und Freunde.

Weil ein immer größerer Anteil der Produktion gehortet wurde, statt damit Mangel zu beseitigen, weil also künstlicher Überfluss an einer Stelle zu künstlichem Mangel an anderer Stelle führte, konnten die Besitzer des Überflusses Denjenigen, die Mangel litten, mit Waren »aushelfen«. Weshalb sollte ich denn einfach so wieder herausgeben, was ich mir vorher arglistig erschlichen habe?

Der Zins wurde geboren. Der Borgende musste mehr zurückgeben, als er erhalten hatte. Und er hatte keine Chance, sich dagegen zu wehren, denn der Besitzende, der Verleiher, war normalerweise Mitglied der führenden Elite und konnte dem Borgenden auf vielfältige Weise das Leben noch zusätzlich schwer machen. Und je mehr sich die Eliten aneignen konnten, desto größer wurde der künstlich und beabsichtigt herbeigeführte, aufrecht erhaltene und stets weiter verschärfte Mangel bei den »einfachen Leuten«. Und je mehr man sich borgen musste, um zu überleben, um so mehr musste man zurückzahlen. Ab einem bestimmten Punkt schafften die Schuldner das nicht mehr.

Leibeigenschaft und Sklaverei waren die logische Folge.

Irgendwann wurde »Geld« notwendig, weil es immer aufwändiger wurde, die ganzen Waren zu horten, die als Tribute zu entrichten waren an religiöse und weltliche Führer. Waren sind auch schwieriger zu handhaben als Bezahlung für Lakaien und Soldaten, die ja ebenfalls mit »Nichtstun« ihren Lebensunterhalt verdienten – »Nichtstun« im Sinne von tätiger Beteiligung an der Erarbeitung der Güter, die benötigt wurden. Denn das Hofieren der Anführer oder der Kampf gegen (angebliche) Feinde hat ja Arbeitsleistung verbraucht und vernichtet, aber keine Werte geschaffen, die Nutzen hätten – zumindest nicht für die Mehrheit der Bevölkerung.

Weil also Einzelne eine natürliche Überlegenheit genutzt haben, um individuelle Vorteile über ein verträgliches Maß hinaus zu erlangen, stehen wir heute bis zum Hals in der Scheiße.

Aber ich will nur grob skizzieren, wo die Grundlagen unserer derzeitigen Probleme liegen und zeigen, ob wir denn nun »genetisch gierig« sind und nichts dagegen tun können – ob die Gier in unserer Natur liegt oder ob wir sie erlernt haben und also auch aufhören könnten, gierig und egoistisch zu sein.

Warum sind wir egoistisch und stimmt das überhaupt, dass wir egoistisch sind?

Ich glaube das nicht.

Warum kämpfen rivalisierende Affengruppen gegeneinander und tun sie das tatsächlich immer oder Löwen- oder Wolfsrudel?

Normalerweise gehen sich Rivalen aus dem Weg, wenn es keine triftigen Gründe gibt. Solche können sein:

  • Nahrungsmangel und Trockenheit (Nahrungs- und Wasserkonkurrenz),
  • zahlenmäßige und genetische Schwächung der Population (deshalb werden dann die Frauen aus der Nachbarschaft geraubt oder deren Revier übernommen und die Männer vertrieben oder getötet),
  • zunehmende Unsicherheit wegen übergroßem Jagddruck durch Fressfeinde.

All das sind nicht Normal-, sondern Extremsituationen, die zu physischen Auseinandersetzungen führen. Wenn die Reviere genug Platz, Nahrung, Wasser und Sicherheit bieten, lassen die verschiedenen Gruppen einander sprichwörtlich in Frieden und manchmal finden sogar friedvolle Wechsel von Einzelnen in jeweils andere Gruppen statt, wenn sich Gelegenheiten dazu bieten. Man begnügt sich mit der Reviermarkierung und diese wird in Normalzeiten auch respektiert. Bei vielen Säugetierarten wird das beobachtet. Denn dieses ist das Normalverhalten in Normalsituationen, weil dadurch die Spezies die besten Überlebens- und Entwicklungschancen hat. Eine natürliche Balance zwischen egozentrischem Aggressionsverhalten und friedlicher Koexistenz bei gelegentlicher Kooperation, wo es sinnvoll ist. Diese Balance gilt auch innerhalb der jeweiligen Gruppen – egal, ob hierarchisch oder anarchisch organisiert. Zum gesunden Sozialverhalten in Gruppen gehört immer »leben und leben lassen«. Die äußeren Umstände bestimmen darüber, wie das individuelle und auch das Gruppenverhalten angepasst werden muss, um das Überleben zu sichern.

Wenn Gier und daraus folgend Egoismus – tatsächlich kann man diese beiden kaum trennen – und daraus entstehende Aggression natürliche Normaleigenschaften wären, würden wir sie sehr viel häufiger und stärker ausgeprägt bei Säugetieren beobachten können, was jedoch nicht der Fall ist.

Egoismus als Grundlage ist durchweg weniger erfolgreich, als Kooperation, die nur ohne Egoismus langfristig funktionieren kann. Wenn Konkurrenz, Gier und Egoismus natürlich-grundlegende Konzepte wären, gäbe es nicht so viele uralte symbiotische Beziehungsgeflechte auf unserem Planeten. Die (vorurteilsfreie!) Zusammenarbeit macht es erst möglich, dass sich positive Eigenschaften verschiedener Spezies gegenseitig unterstützen und damit insgesamt verstärken und schädliche Eigenschaften oder widrige äußere Umstände ausgeglichen werden können.

Die gesamte belebte Natur ist auf Sparsamkeit und Energieeffizienz ausgerichtet, jeder Körperbau, jedes Nahrungskonzept, jedes Bau-, Jagd- oder Schutzverhalten ist darauf ausgerichtet, mit möglichst wenig Material und Energie ein möglichst genau passendes, nur am eigentlichen Zweck ausgerichtetes Ergebnis zu erzielen und darüber hinaus, keinen unnötigen Mehraufwand zu betreiben. Es gibt nur einen einzigen Bereich, wo »geklotzt und nicht gekleckert« wird: die Reproduktion – die Erhaltung und Verbreitung der Art.

Gier und Egoismus, daraus erwachsende Konkurrenz und die daraus entstehende Aggression taugen langfristig nicht als natürliches Konzept, sondern dienen immer nur als latente Eigenschaften für deren Aktivierung in Ausnahmesituationen, z. B. bei Nahrungsmangel oder wenn Populationen zu groß werden und die Reviergrößen nicht mehr ausreichen, ein Gleichgewicht zu gewährleisten.

Nein, Konkurrenzdenken, Egoismus und Gier sind nicht angeborenes Übel, sondern erlernte und leider sehr übertrainierte Kulturfähigkeit.

Aber das Gute daran ist: Was man gelernt hat, kann man um- und sogar verlernen – abtrainieren.

Das Schwierige ist das Wollen.

Egoismus und (vor allem aggressives) Konkurrenzverhalten führen zu den am Beginn des Artikels beschriebenen Vorteilsgewinnen Einzelner, die dann einer sehr großen Masse als Anreiz dienen – und ihnen auch von den Mächtigen immer wieder als Anreiz präsentiert werden – sich ebenfalls als »klug und stark« zu erweisen und Andere zu übervorteilen, um hoffentlich ebenfalls in den Genuss der erkannten Vorteile zu gelangen. Die Folge ist – wenn das Training lange und intensiv genug absolviert wird: Man geht im wahrsten Sinne »über Leichen« – der Egoismus wird zum Leitmotiv und weil das in allen gesellschaftlichen Schichten über viele Jahrhunderte hinweg trainiert wurde, fällt es heute den Allermeisten so sehr schwer, von diesem Training abzulassen und sich einen besseren Weg zu suchen, ihr Glück zu finden – denn nur das ist es ja, was wir alle so krampfhaft wollen: Zufriedenheit, Sicherheit – Glück.

Und hier kommt das (bedingungslose) Grundeinkommen ins Spiel.

Das bGE ist der neue Trainer, der neue Anreiz, nicht mehr egoistisch sein zu müssen.

Ich höre dich schon: »Aber es gibt doch überall auf der Welt großen Mangel an allem: Nahrung, Trinkwasser, Hygiene, medizinische Versorgung, Behausung, Weide- und Ackerfläche…!«

Ja, das stimmt. Aber ist das ein objektiver Mangel, der darauf beruht, dass es davon zu wenig gibt oder beruhen alle diese Mängel darauf, dass all diese Dinge irgendwo auf verschiedenste Weise gehortet oder den Bedürftigen aktiv vorenthalten werden?

Zumindest heute gibt es (objektiv und global gesehen) schon lange keinen echten Mangel mehr. Wir haben kein Mengenproblem – wir haben ein Verteilungsproblem.

Wir könnten heute und sofort alle Menschen auf der Welt mit ausreichend Nahrung, Trinkwasser, Obdach, medizinischer Versorgung, sanitärer Einrichtung und allem Anderen versorgen.

Wir wollen das aber nicht. Alle, jede/r Einzelne. Okay… beinahe Alle.

Wir glauben den Mächtigen, die mit Hilfe von »Marktmechanismen« und durch Demagogie, Ablenkung und Hetze dafür sorgen, dass wir Mangel empfinden – egal, wie fettgefressen wir sind.

Wir lassen uns Mangel einreden und fürchten uns vor ihm, wie der Teufel vorm Weihwasser.

Dabei wissen wir es doch schon lange eigentlich viel besser.

Wir müssen dahin finden, dass wir zuerst unser eigenes Verhalten darauf prüfen, ob das, was wir selbst tun, für alle – für wirklich jeden einzelnen Menschen auf der Welt – möglich ist, ohne soviel Ressourcen zu verbrauchen und soviel Müll zu erzeugen, dass das Ökosystem Erde damit langfristig überfordert ist.

Wir – jede/r Einzelne von uns – müssen uns so verhalten, dass wir nicht mehr verbrauchen und benutzen, als wir jedem Menschen überall auf der Welt auch zugestehen können, ohne langfristige und schwerwiegende Schäden für die Ökosphäre unseres Planeten anzurichten.

Das hat gar nichts mit Verzicht zu tun, sondern diese Regel muss für jeden Menschen überall auf der Welt gelten. Denn solange wir nicht bereit sind, dem Senegalesen, dem Jemeniten, dem Bangladeshi, der Vietnamesin, der Brasilianerin, der Peruanerin, jedem Inuit, allen indigenen Menschen all das zu gestatten, was wir haben und noch gern hätten, werden wir keine Chance auf Rettung haben – auch nicht durch ein Grundeinkommen. Denn dann werden wir gerade und erst recht durch ein Grundeinkommen die Karre noch viel schneller an die Wand schmettern – und mit noch sehr viel mehr Wucht!

Und wenn wir uns nicht besinnen und unser Verhalten sofort und radikal ändern, ist es völlig Wumpe, ob wir ein Grundeinkommen bekommen – egal, wie bedingungslos es auch sein mag.

Denn wenn wir nicht bei den bisher Ausgebeuteten um Entschuldigung und um Gnade zu bitten für die von uns, den angeblich so hochentwickelten Industrieländern und deren Vorfahren angerichteten Schäden an der Natur und in den Menschen und wenn wir nicht beginnen, unsere angerichteten Schäden aktiv dort auszugleichen und zu beseitigen, wo wir sie angerichtet haben, wird es kein gutes Morgen geben – für uns alle, als Menschheit!

Wenn der dominante weiße Mann nicht bereit ist, sein Tun aktiv und schnell in eine positive Richtung zu ändern, wird er bekommen, was er verdient – und leider noch vorher alle Anderen, die weniger oder gar nichts dafür können.

Aber vielleicht sind ja die Chinesen schneller und beschämen uns, indem sie uns zeigen, wie es geht…

Der Erde ist es egal. »Das Leben findet immer einen Weg.«
Uns sollte es nicht egal sein, denn »die Erde« oder »die Natur« kann sehr wohl und vor allem sehr gut ohne uns leben, aber wir nicht ohne sie.

Also hört auf, mit dem Finger auf Andere zu zeigen!
Hört auf, zu jammern, was alles nicht geht!
Fangt endlich an, zu handeln!

»Jede Kanone, die gebaut wird, jedes Kriegsschiff, das vom Stapel gelassen wird, jede abgefeuerte Rakete bedeutet letztlich einen Diebstahl an denen, die hungern und nichts zu essen bekommen, denen, die frieren und keine Kleidung haben. Eine Welt unter Waffen verpulvert nicht nur Geld allein. Sie verpulvert auch den Schweiß ihrer Arbeiter, den Geist ihrer Wissenschaftler und die Hoffnung ihrer Kinder.«
(Dwight D. Eisenhower)

Viele Grüße
Detlef Jahn

3 Gedanken zu „Egoistenschwein“

  1. Alles richtig, richtig, richtig. Ein „Gier-Problem“ steckt meiner Meinung nach in der Sesshaftigkeit, weil ich dann Ressourcen ranschaffen muss, will ich Planungssicherheit und Versorgungsperspektive nicht zu hungern. Da wir jedoch heute die Sonne technisch für den Energiebedarf heranziehen können, nicht nur für Nahrung, sondern auch für Teilhabe, Wärme, Mobilität und Gemeinwohl brauchen wir nicht mehr kriegerisch Ressourcen heranschaffen oder abgeben. PV auf alle Dächer schafft Frieden und vermeidet die Geschäfte mit dem Krieg aus Propaganda, Wirtschaftssanktionen, Handelskrieg und Miltär. Weil dann jeder sein eigener König ist, muss niemand mehr König eines Anderen sein.

    1. Gier kann missraten und wuchern, unabhängig von Sesshaftigkeit.
      Viele sesshafte Gruppen beweisen, dass kein unmittelbarer Zusammenhang besteht.

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