Freiheit
Bedeutet ›Freiheit‹ dass ich machen kann, was ich will?
Ich denke, nein. Freiheit bedeutet, selbst über mich und meine Angelegenheiten entscheiden zu können. Also kann ich doch machen, was ich will. Ich denke, ja.
Aber: meine Freiheit endet dort, wo ich die Freiheit eines Anderen beschneide.
Es ist also doch nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint. Da wir Menschen in sozialen Gemeinschaften leben, sind Regeln notwendig, nach denen sich jedes einzelne Individuum, jede Gruppe und auch die Gemeinschaft als Ganzes richten müssen, damit am Ende jedes Individuum, jede Gruppe und auch die Gemeinschaft als Ganzes vom Zusammenleben möglichst viele Vorteile und möglichst wenig Nachteile haben.
In allen Kulturen gibt es seit vielen Generationen einen Grundsatz, der jedem Individuum, jeder Gruppe und der Gemeinschaft als Ganzer oberste Handlungsregel sein sollte, der aber leider in der heutigen Zeit immer stärker von anderen Richtwerten verdrängt wird und in Vergessenheit gerät: Handle stets so, dass Deinem Tun möglichst großer Nutzen für die Gemeinschaft und möglichst geringer Schaden für andere Menschen und unsere Umwelt entsteht. Kürzer und bekannter: Behandle Andere so, wie Du selbst behandelt werden willst. Andere Variante, die das Gleiche meint: Was Du nicht willst, das man Dir tuʼ, das fügʼ auch keinem Andern zu!
Wenn wenigstens eine relevante Mehrheit der Menschen nach diesen Grundsätzen leben und handeln würden, hätten wir kein Elend auf dieser Welt, keinen Hunger, keine Vertreibung und Flucht, keine Kriege, keine Völkermorde und keine Sklaverei und Ausbeutung.
Leider ist es so einfach nicht, weil die Menschen selten fähig sind, in großen Zusammenhängen zu denken. Zuerst gilt es, die eigene Sippe zu ernähren und zu schützen. Schon die Nachbarsippe könnte Nahrungskonkurrent sein und ist deshalb potenziell als Feind zu betrachten. Außerdem könnte von dort der eigene Bestand an Fortpflanzungsmöglichkeiten angegriffen werden – Frauen werden geraubt, um den eigenen Bestand mengenmäßig zu stabilisieren oder möglichst zu erweitern und den Genpool gesund zu erhalten. Zu allem Überfluss ist dann da noch der Bär und der Wolf und der Säbelzahntiger… Heute jedoch leben wir glücklicherweise in Zeiten, in denen es existenzbedrohliche Nahrungskonkurrenz eher selten gibt und Frauen werden normalerweise auch eher selten geraubt. Und zum Glück erleben wir nur noch im Kino, dass uns der Bär bösartig auf den Pelz rückt.
Allerdings sitzen die Instinkte tief und bestimmen heute noch weitgehend unser Handeln. Wir sind real durchaus weniger selbstbestimmt, als wir das gern glauben wollen. Unsere Instinkte sind hellwach und lassen uns oft vorschnell und scheinbar unvernünftig reagieren, wenn wir unseren eigenen Lebensraum bedroht sehen, obwohl er meist gar nicht wirklich in Gefahr ist.
Ist es so einfach? Sind uns unsere alten Instinkte in die moderne Zeit gefolgt und hindern uns nun, friedlich zusammenzuleben? Ja und nein. Nein deshalb, weil wir zwei Fremdbestimmungen unterworfen sind: unseren eigenen durch die aus rauen Vorzeiten überlieferten Instinkte und den Fremdbestimmungen durch die Menschen, die sich erhoben haben über die anderen, die uns vorschreiben, wie wir zu leben haben, die glauben, besser zu wissen, was für uns gut und was richtig sein soll. Die Wirklichkeit ist also wieder mal ziemlich kompliziert.
Ich werde versuchen, das ein wenig zu sortieren. Was das mit dem BGE zu tun hat, wird unterwegs oder hinterher auch noch mit ausgewickelt.
Das Tier lebt
Immer, wenn wir eine Gefahr wittern, startet bei befürchteter Unterlegenheit oder vermuteten späteren Nachteilen ein Fluchtprogramm oder unser Alarmsystem versetzt uns in den Kampfmodus (Verteidigung oder auch aktiven Gegenangriff, je nach individueller Persönlichkeit und vorausgehenden Erfahrungen), wenn wir die Möglichkeit sehen, zu gewinnen. Das hört sich erst einmal martialisch an, betrifft aber alle Lebensbereiche und erzeugt heute sehr viel mehr Ängste, als zu Zeiten der Säbelzahntiger, weil es viel mehr Gefahrenquellen gibt. Nur sind die meisten heute eben nicht existenzbedrohend, sondern meist eher emotionaler Natur und betreffen unseren Lebenskomfort. Wir haben Angst, unseren Arbeitsplatz zu verlieren. Wir wollen nicht, dass der Nachbar ein dickeres Auto fährt, als wir selbst. Wir wollen nicht so vorgeführt werden, wie die Opfer beim »Frauentausch« oder »Bauer sucht Frau«. Wir haben Angst vor Zurücksetzung bei der Vergabe von lukrativen Tätigkeiten. Und wir fürchten uns vor Hilfsbedürftigkeit im Alter. Auch hier wieder überlasse ich Deiner Fantasie und Deiner eigenen Lebenserfahrung die Fortsetzung der Liste.
Ein sehr gutes Buch zum Thema ist »Gesellschaft der Angst« von Heinz Bude (ISBN: 978-3-86854-284-4) – unbedingt lesenswert! Man sieht nach dieser Lektüre viele Reaktionen seiner Mitmenschen und viele Zusammenhänge von Ursache und Wirkung in unserer Gesellschaft mit ganz anderen Augen.
Das sind die Ängste, die wir selbst in uns herumtragen und die zu einem großen Teil unsere Entscheidungen beeinflussen. Das sind die Fremdbestimmungen aus uns selbst heraus, weil wir unsere Ängste entweder gar nicht kennen oder weil wir unseren Ängsten nachgeben, anstatt vernünftige Alternativen zu suchen. Dadurch leben wir nicht selbstbestimmt, weil uns unsere Ängste beherrschen. Wir sind nicht frei. Aber das können wir ändern, indem wir uns informieren und unsere Ängste kennenlernen und uns mit ihnen auseinandersetzen und sie als unbegründet erkennen und dann auch überwinden können. Damit gewinnen wir schon ein Stück unserer Selbstbestimmung und kommen damit unserer Freiheit näher.
Und dann sind da noch die Fremdbestimmungen durch externe Einflüsse, meist durch andere Menschen verursacht.
Die feindliche Umwelt
Wir werden von allen Seiten permanent in Angst gehalten. Wir müssen schlank, sportlich und jung sein. Wir müssen flexibel sein und heute hier und nächstes Jahr dort arbeiten, einen Monat in diesem und nächsten Monat in einem anderen ›Projekt‹. Wir werden ›verliehen‹, weil wir keine feste Anstellung haben, sondern uns als ›Leiharbeiter‹ verdingen. Wir müssen jedes Jahr ein neues ›Smartphone‹ kaufen, weil wir sonst ja mit heillos veralteter Technik herumlaufen – achja, es möchte bitte angebissenes Obst auf der Rückseite prangen – für die anderen deutlich sichtbar als Zeichen der Zugehörigkeit zum Clan der Obstverehrer oder zur Demonstration unserer Überlegenheit gegenüber den Verlierern, die sich ›richtiges Equipment‹ nicht leisten können. Auf dem Jobcenter müssen wir uns beugen, sonst werden wir heruntergekürzt, im Falle eines Falles bis auf Null. Das ist zwar ein Rechtsbruch, weil wir ja eigentlich einen Rechtsanspruch haben, aber eben nur, solange wir brav mit uns machen lassen, was andere wollen. Und sowas wie Menschenwürde haben nur Menschen, die zu den Sportlich-Schlanken, den Obstjüngern und den Entscheidern dieser Welt gehören. Für den prekären Pöbel steht die Menschenwürde nur als Fiktion auf dem Papier. Zuerst musst Du kuschen und Dich unterordnen, Dich verheizen lassen und anderen verheizen, Du musst buckeln und kriechen, damit Du in der Partei oder in der Firma, in der Gewerkschaft, im Gartenverein oder im Sportclub mal eine Position erreichen kannst, die Dir auch mal eine Enscheidungsbefugnis erlaubt. Dann beginnst Du als Mensch Dir Würde zu verdienen. Dann erst wirst Du wahrgenommen. Zwar wirst Du immer noch ausgenommen, aber das ist nicht so wichtig, solange Du wahrgenommen und vielleicht sogar ein klein wenig ernstgenommen wirst. Aber auch das nur, solange Du weiter der Parteidoktrin folgst, Dich dem Fraktionszwang unterwirfst und den Aufsichtsrat nicht verärgerst. Ansonsten erübrigt sich Deine Menschenwürde sehr schnell.
Und diese Fülle von Ängsten betrifft nicht nur die ›kleinen Leute‹, sondern genauso die vermeintlich freien, weil einigermaßen wohlhabenden oder sogar richtig reichen Leute. Deren Ängste beziehen sich lediglich auf eine andere Ausgangsposition – die Ängste sind sogar meist noch schärfer, weil die Fallhöhe deutlich größer ist, als die unsere. Das zu verlierende Haus ist größer, das Auto fetter, die Frau schöner (dafür aber leider meistens nicht echt, sondern teilweise aus Plastik…) und das Gehalt lukrativer. Und natürlich sind die Gefahren größer, beraubt zu werden, Opfer von Betrügern zu werden oder gar einem Neidmord zum Opfer zu fallen. Aber am allerschlimmsten ist die Angst, von den anderen Angehörigen der vermeintlichen Elite nicht mehr anerkannt zu werden, sondern im Sumpf der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, wo wir Normalbürger uns schon immer durchschlagen müssen. Wir sehen also: unsere Ängste sind sehr ähnlich, egal, ob wir zu den Entscheidern gehören oder zu denen, über die entschieden wird.
Wir sind fremdbestimmt und leben in einem Minenfeld.
Und was hat das alles nun mit dem BGE zu tun?
Nun, das ist eine gute Frage: was wäre, wenn es ein BGE gäbe?
Befreiung
Mit einem BGE wäre die zentralste aller Ängste ausgeräumt: die Angst um die nackte Existenz, den Lebensunterhalt, das Dach über dem Kopf und die Kleidung, die Nahrung, die Teilhabemöglichkeit am gesellschaftlichen, am politischen und am kulturellen Leben. Die Befreiung, zuerst Mensch sein zu dürfen. Und mit dieser Grundlage sich dann einen Weg suchen zu können, sich die Anerkennung zu verschaffen, die einem die Befriedigung verschafft, ›etwas zu leisten‹. Ich kann mich weiterbilden, weil mein Lebensunterhalt gedeckt ist und ich also nicht meine gesamte Kraft und Zeit dafür aufbrauchen muss, die Miete und für das Kind die Teilnahme am Klassenausflug mit Übernachtung zu erarbeiten. Ich kann den Beruf wechseln, weil der jetzige nicht meinen Fähigkeiten entspricht, ohne dass ich mir Sorgen machen muss, ob ich ›meine Familie ernähren‹ kann. Ich kann Bedürftigen helfen, weil ich weiß, dass meine Bedürfnisse anerkannt und abgesichert sind.
Das ermöglicht einen großen Schritt in Richtung freier Selbstbestimmung. Das ist der Beginn von Freiheit. Das begründet das Entstehen tatsächlicher Menschenwürde. Freiheit ist nur dann möglich, wenn Menschen angstfrei leben können.
Ich möchte eine Weisheit von Epikur von Samos etwas abgewandelt anfügen:
»Wenn du einen Menschen glücklich machen willst, dann füge nichts seinem Reichtum hinzu, sondern nimm ihm einige von seinen Ängsten.«
Für Deine Geduld, mir bis hierher zu folgen, danke ich Dir. Bitte rege Andere an, hier mitzulesen und sich durch Kommentare zu beteiligen.
Viele Grüße
Detlef Jahn
2 Gedanken zu „03: Freiheit und Angst und das BGE“